«Thomas Müller ist ein Thema – völlig zu recht»
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Löw im ARD-Interview:«Thomas Müller ist ein Thema – völlig zu recht»

Hoffnung auf EM-Teilnahme
Löw macht mit Müller die Rolle rückwärts

Der deutsche Nationaltrainer öffnet die Türe für die verstossenen Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng – und hat dabei ein kreatives Argument gefunden.
Publiziert: 01.03.2021 um 18:18 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2021 um 16:17 Uhr
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Kommt es zur Versöhnung zwischen Jogi Löw (r.) und Thomas Müller?
Foto: Keystone
Sebastian Rieder

Es ist schwierig abzuschätzen, wie viel schlaflose Nächte Jogi Löw damit verbracht hat, seine angestrebte Verjüngungskur des DFB-Kaders selbst anzuzweifeln. Vier Monate vor der Euro 2021 hat sich der Bundestrainer nun aber dazu durchgerungen, den Prozess für das anstehende Turnier im Sommer allenfalls rückgängig zu machen.

Der 61-jährige Deutsche hat sich in den vergangenen Tagen immer wieder die gleichen Fragen gestellt. «Welche Spielertypen brauchen wir? Was brauchen wir auf den einzelnen Positionen, um den grösstmöglichen Erfolg zu garantieren?» Die Gedankenspiele drehen dabei auch um die aussortierten Altstars wie Thomas Müller (31), Mats Hummels (32) und Jérôme Boateng (32).

Müller als Energiegeber

«Einen Umbruch sollte man nie abbrechen und in eine völlig andere Richtung gehen», sagte Löw am Sonntag in einem «ARD»-Interview, korrigierte seine Aussage aber zugunsten der Verstossenen. «Besondere Umstände können eine Unterbrechung des Umbruchs aber rechtfertigen.» Aufgrund der Corona-Pandemie seien die Reformbemühungen behindert worden.

Diese Erkenntnis führt Löw zu einem Meinungsumschwung. Er denkt dabei an Müller, der mit Bayern München von Erfolg zu Erfolg eilt und beim deutschen Rekordmeister weiterhin die Rolle als grösster Lautsprecher auf dem Feld inne hat. Löw formuliert das so: «Vielleicht brauchen wir noch den ein oder anderen Prozentpunkt oder den einen oder anderen Energiegeber, sportlich gesehen oder in der Führung.»

Flügellahmer Adler

Gross war der Aufschrei vor über zwei Jahren, als Jogi Löw nach der desaströsen WM in Russland einen radikalen Schnitt vollzog und dabei Müller, Hummels und Boateng mit einer mageren Medienmitteilung vor die Türe setzte. Dem Bundestrainer wurde mangelnde Empathie und fehlender Stil vorgeworfen; weil er nicht den Mut hatte, dem Trio seine Pläne persönlich mitzuteilen.

Am Ende zählen nur die Resultate, dachte sich Löw und hielt an seinem Vorhaben fest. Frisches Blut sollte dem flügellahmen deutschen Adler neues Leben einhauchen. Stattdessen flatterte der Vogel führungslos und ohne Orientierung vor sich hin und erreichte nie die gewünschte Flughöhe.

Selbst Leaderfiguren wie Toni Kroos und Manuel Neuer schafften es trotz direkter EM-Qualifikation nicht, dem Team die Aura alter Tage zu verleihen. In der Nations League setzte es in der ersten Austragung empfindliche Niederlagen gegen die Niederlande und Frankreich ab. Selbst die Schweiz trotzte Deutschland ein 1:1 und 3:3 ab. Den höchsten Pegel der Peinlichkeit erlebte der Weltmeister von 2014 aber im letzten November beim 0:6 gegen Spanien.

Hohn und Spott für Löw

Fast hätte Löw das Debakel den Kopf gekostet. Die DFB-Führung liess ihn lange zappeln, stärkte dem taumelnden Bundestrainer am Ende – aufgrund der anstehenden Euro – etwas widerwillig den Rücken. Stark verwundet, aber stoisch in der Art liess Löw den Spott über sich ergehen. Die lauten Rufe der Fans und die kritischen Stimmen der Medien verstummten jedoch bis heute nicht. Ist es die Grösse des Charakters oder die Grösse der Verzweiflung, die den Cheftrainer zum Umdenken bewegt?

Für die anstehenden drei Begegnungen in der WM-Qualifikation gegen Island (25. März), Rumänien (28. März) und Nordmazedonien (31. März), ist es für eine Versöhnung mit Müller, Hummels und Boateng allerdings noch zu früh. Das Trio sei in den Klubs bereits stark gefordert, findet Löw und verzichtet auf ein Aufgebot. Bleibt die Frage, ob ein Mann wie Thomas Müller damit umgehen kann, wenn er die Gedanken von Jogi Löw zuerst in einem Interview lesen muss – und dabei vorher nicht angerufen wird.

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