Dass sich Sportler in die politische Debatte einbringen, ist aussergewöhnlich. Vor allem, wenn sie es bei einem Grossanlass tun, wie derzeit die französischen Stars vor ihrem EM-Startspiel am Montagabend gegen Österreich.
Bei der Medienkonferenz am Sonntag wagte auch Captain Kylian Mbappé (25) ein politisches Statement, nachdem sich schon seine Sturmkollegen Ousmane Dembélé (27) und Marcus Thuram (26) vor den anstehenden Parlamentswahlen vom 30. Juni bis 7. Juli positioniert hatten. «Das Spiel ist extrem wichtig, aber es gibt auch eine Situation, die wesentlich wichtiger ist als dieses Spiel», sagte Mbappé. «Wir sind nicht abgekapselt von dem, was im Moment in unserem Land passiert.»
Er forderte vor allem seine jungen Landsleute auf, zur Wahl zu gehen. «Wir sind die junge Generation, die etwas verändern kann. Man sieht, wie die extreme Rechte weiter nach vorne kommt, aber wir haben die Zukunft in der Hand», sagte der Sohn eines Kameruners und einer Algerierin, der nach der EM für Real Madrid spielen wird. «Jede Stimme zählt.»
«Ich bin gegen Extremisten und Extreme»
Es geht Mbappé und seinen Kollegen darum, den Vormarsch von Marine Le Pens «Rassemblement National» zu stoppen, das zuletzt bei den Europawahlen 31 Prozent der Stimmen erreichte, worauf Präsident Emmanuel Macron Neuwahlen ausschrieb. Thuram sagte über das Resultat der Europawahlen: «Wir waren in der Kabine alle etwas schockiert. Ich glaube, das ist die traurige Wahrheit in unserer Gesellschaft.»
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Er sei zwar prinzipiell der Ansicht, dass Politik und Sport nicht miteinander vermischt werden sollten, sagte Mbappé. «Aber wenn es so eine Situation wie heute ist, sehe ich das anders. Ich bin gegen Extremisten und Extreme. Ich möchte nicht in einem Land leben, das nicht unseren Werten entspricht.»
«Wir müssen die Leute dazu bewegen, zur Wahl zu gehen», hatte schon PSG-Flügel Dembélé gesagt. «Ich denke, dass in Bezug auf die Situation in Frankreich die Alarmglocken schrillen.»
Wie wirkt sich die brisante politische Lage auf die Titelchancen des Favoriten aus? Bei der WM 2022 in Katar hatten sich die Deutschen um Captain Manuel Neuer zum Start des Turniers für die Regenbogen-Binde eingesetzt, gegen das Fifa-Verbot protestiert und scheiterten darauf bereits in der Vorrunde.
«Wir müssen uns an so eine Situation anpassen»
«Wir sind grosse Spieler und müssen uns an so eine Situation anpassen», sagte Mbappé zu Bedenken, dass sich das Team durch das politische Engagement ablenken lassen könnten.
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Der französische Verband hatte derweil nach den ersten Äusserungen von Thuram und Dembélé versucht, das heisse Thema im Keim zu ersticken und die Medienleute aufgefordert, die Spieler nicht mehr zur Wahl zu befragen.
Zurückhaltend äusserte sich derweil Nationalcoach Didier Deschamps (55). «Jeder hat seine eigene Meinung. Es sind grossartige Fussballspieler, aber vor allem französische Bürger, die nicht abseits dieser Situation stehen, die Frankreich gerade erlebt.» Selbst stellte er sich aber nicht gegen das «Resemblement National». Im Gegensatz zu 1998, als er Jean-Marie Le Pen, den damaligen Chef der Vorgänger-Partei «Front National» und Vater von Marine Le Pen, angegriffen hatte, als dieser über dunkelheutige Nationalspieler gelästert hatte. «Ich habe das damals gemacht, weil Spieler angegriffen wurden, und ich der Captain war. Das war inakzeptabel.»
18 von 25 Spieler haben afrikanische Wurzeln
1998 holten Deschamps & Co. bei der Heim-WM den Titel und sorgten damit auch für zwischenzeitliche Entspannung im Land.
Inzwischen besteht die «Equipe tricolore», in der 1998 Spieler wie Zinédine Zidane, Marcel Desailly oder Lilian Thuram eine zentrale Rolle spielten, aus noch weit mehr Spielern mit afrikanischen Wurzeln (18 von 25). Viele sind wie Mbappé in den Vororten von Paris aufgewachsen, in denen Hoffnungslosigkeit, Kriminalität, Gewalt und Drogenkonsum vorherrschen und die längst zu sozialen Brennpunkten wurden.
Während der eloquente Mbappé keine Hemmungen hat, seine eigene Meinung zu äussern, hatte sich Zidane erst 2017, elf Jahre nach seinem unrühmlichen Karriereende (Kopfstoss gegen Materazzi im WM-Final) gewagt, zu einem politischen Statement durchringen können und die Wähler aufgefordert, nicht für Marine Le Pen zu stimmen.