Frau Mauch, zum zweiten Mal in Ihrer Amtszeit findet eine Bankenrettung statt. Wie fühlt sich dieses Déjà-vu an?
Corine Mauch: Es schockiert mich, dass der Staat schon wieder Milliarden aufwenden muss, um eine Grossbank zu retten. Die nach der Finanzkrise ergriffenen Massnahmen waren offenbar zu wenig scharf.
Im Nationalrat hat die SP-Fraktion gegen den 109-Milliarden-Kredit gestimmt. War das klug?
Meine Partei forderte bereits 2021 Verschärfungen bei den Regulierungen, so etwa in Bezug auf Boni-Zahlungen bei systemrelevanten Banken und höhere Eigenkapitalanforderungen. Doch sie wurde von den bürgerlichen Parteien ausgebremst. Dass die SP den Druck jetzt aufrechterhält, ist richtig – im Wissen, dass die Ablehnung des Kredits letztlich symbolischer Natur ist.
Was müsste man jetzt unternehmen?
Zunächst benötigen wir Antworten: Wie konnte es überhaupt zu diesem Debakel kommen? Welche Sicherungsmechanismen haben versagt? Aufgrund dieser Analyse müssen Vorkehrungen getroffen werden. Klar ist: Diese Geschichte darf sich nicht mehr wiederholen. Die Credit Suisse machte in den letzten zehn Jahren 3 Milliarden Verlust – und bezahlte trotzdem 32 Milliarden an Boni aus. Da ist eindeutig etwas faul.
Also sind Sie für ein Boni-Verbot?
Boni dürfen auf keinen Fall dazu führen, dass der Staat für Verfehlungen geradestehen muss, nur weil eine private Firma absurd hohe Risiken eingegangen ist. Bei der Credit Suisse war das ganz offensichtlich der Fall, deren Risikomanagement war ungenügend. Anreize, die dieses Verhalten fördern, gehören deshalb abgeschafft.
Nach der Finanzkrise bezahlten die Grossbanken mehrere Jahre keine Unternehmenssteuern. Muss sich die Stadt Zürich auf mehr magere Jahre einstellen?
Um das beurteilen zu können, ist es noch zu früh. Es ist völlig unklar, wie diese Bankenfusion umgesetzt wird. Diverse Forderungen stehen im Raum. Etwa jene, dass die CS Schweiz erhalten bleiben soll. Solange diese Fragen nicht geklärt sind, lassen sich keine verlässlichen Aussagen treffen. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass es Steuerausfälle geben wird.
Um das Klumpenrisiko zu verringern, setzte man nach der UBS-Rettung auf eine Diversifizierung. Das Vorhaben ist gescheitert: Zürich ist immer noch von den Banken abhängig, sie steuern rund ein Viertel der Einnahmen bei.
Zürich bleibt ein wichtiger Finanzplatz. Dieser besteht aber nicht bloss aus Banken. Auch Versicherungen gehören dazu, Finanzdienstleistende, die Fintech-Szene. Gesamthaft machen diese Player gut ein Viertel der Wertschöpfung aus. Das ist ein sehr hoher Anteil. Wir schreiben der Privatwirtschaft nicht vor, welche Unternehmen hier aktiv sein dürfen. Aber wir können gute Rahmenbedingungen schaffen. Diese zeigen Wirkung, die Diversifizierung findet statt.
Woran machen Sie das fest?
Urbane Produktion hat zum Beispiel an Bedeutung gewonnen. Vor zehn Jahren hatte man das Gefühl, dieser Bereich habe keine Zukunft in einer Stadt wie Zürich. Entscheidend sind Bodenpreise. Noch vorhandene Industrieareale haben wir der Umzonung entzogen. In der früheren SBB-Werkstätte baut die Firma Zurigaihre Kaffeemaschinen, jemand produziert aus organischen Abfällen Plastikersatzstoff.
Das mag toll sein fürs Image, aber die Stadtkasse füllt es nicht.
Ich weiss nicht, welche Firma wie viel Steuern bezahlt, hier gilt das Steuergeheimnis. Aber klar sind Banken wichtige Steuerzahlende. Genauso wichtig ist aber ein Ökosystem, das Innovation fördert und in dem Menschen gerne leben und arbeiten. Zürich hatte früher das Image einer Bankenstadt. Aktuelle Studien belegen nun, dass sich diese Wahrnehmung verändert hat. Zürich steht für eine hohe Lebensqualität, die tolle Lage am See! Ein ehemaliger ETH-Präsident sagte einst: «Die klügsten Köpfe kommen in die coolsten Städte.» Das bringt es auf den Punkt.
Kluge Köpfe hat auch Google. Der Konzern sorgt für Diversifizierung, bezahlt aber kaum Unternehmenssteuern.
Die Steuereinnahmen von ICT-Grossunternehmen sind nicht so hoch, wie wir das gerne hätten. Das hat komplexe Gründe. Wir vermuten, dass die mit der Steuerreform eingeführten Abzüge für Forschung und Entwicklung im grossen Stil getätigt werden. Genau wissen wir es nicht. Die Konferenz der städtischen Finanzdirektorinnen und -direktoren fordert seit Jahren, dass eine Analyse gemacht wird zu den Auswirkungen dieser Reformen.
Die Google-Mitarbeitenden versteuern zwar ihre hohen Einkommen, sie sorgen aber auch dafür, dass die Mieten steigen. Ihre Diversifizierungsstrategie verschärft die Wohnungsnot.
Diese Sichtweise greift zu kurz. Was stimmt, ist: In den letzten Jahren stieg der sozioökonomische Status der Zürcherinnen und Zürcher. Eine ETH-Studie zeigt, dass nach einem Umbau einer Liegenschaft Leute mit höherem Einkommen einziehen. Es gibt also diesen Verdrängungseffekt. Wir wollen aber nicht, dass Zürich zu einer Stadt wird, in der nur noch Menschen leben, die es sich leisten können.
Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Das wirksamste Mittel ist eine aktive Wohnpolitik. Wir bauen Wohnungen, erwerben Häuser. Deshalb auch mein Aufruf an alle verkaufswilligen Liegenschaftsbesitzenden: Verkaufen Sie an uns! Der Anteil an gemeinnützigem Wohnraum muss steigen. Die öffentliche Hand benötigt dazu ein Vorkaufsrecht. Die Lebensqualität ist auch deshalb so hoch, weil Zürich durchmischt ist.
Die Realität ist doch, dass weniger gut Betuchte wegziehen müssen. Bei Wohnungsbesichtigungen gibt es lange Schlangen. Offenbar sind die Leute so verzweifelt, dass sie Vermietern freiwillig höhere Mieten bezahlen.
Die Gentrifizierung ist eine reale Gefahr. Wenn die Leerwohnungsziffer so tief ist wie derzeit in der Stadt Zürich, kann das zu solchen Auswüchsen führen. Dem müssen wir entgegenwirken. Im Juni gelangt ein Wohnraumfonds zur Abstimmung in der Stadt Zürich, der die Bereitstellung von weiterem preisgünstigem Wohnraum ermöglichen soll. Schon im Herbst 2020 wurde die Finanzkompetenz des Stadtrats in diesem Bereich deutlich ausgebaut. Daneben gibt es raumplanerische Instrumente, die uns erlauben, preisgünstigen Wohnraum einzufordern.
Anfang April kam es in Zürich zu wüsten Ausschreitungen. Auch da ging es um Gentrifizierung.
Was auch immer die Gründe waren: Nichts rechtfertigt diese Gewaltexzesse, die ich in aller Deutlichkeit verurteile. Man löst damit kein einziges Problem. Was mich insbesondere erschreckt hat, waren die Solidaritätsbekundungen des Ausgehpublikums mit den Krawallmachern. Polizistinnen und Polizisten setzen ihre Gesundheit aufs Spiel, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Ich finde es unglaublich, dass man diese Arbeit nicht respektiert.
Am 1. Mai könnte die Stimmung abermals hochkochen. Wie beunruhigt sind Sie?
Der Tag der Arbeit ist ein wichtiges Fest für Zürich. Zehntausende kommen zusammen, um friedlich zu feiern. Ich habe Vertrauen in unsere Stadtpolizei, dass sie auf die Eventualitäten vorbereitet sein wird. In den letzten Jahren blieb es am 1. Mai stets relativ ruhig. Aber natürlich fliessen die jüngsten Ereignisse in die Planung der Einsatzleitung mit ein.
Zunächst findet morgen in Zürich das «Sechseläuten» statt. Böse Zungen nennen die Veranstaltung auch «Bonzenfasnacht». Sind Sie in Feierlaune?
(Lacht) Ich habe Termine und Traktanden, freue mich aber auf das Frühlingsfest – bei hoffentlich frühlingshaftem Wetter.