Sieben verletzte Polizisten, zahlreiche Sachbeschädigungen, 17 Festnahmen und 60 Personenkontrollen. Das ist die Bilanz der Krawallnacht von Samstag auf Sonntag in Zürich. Ein Polizist wurde in einen Hauseingang gedrängt und von rund einem halben Dutzend Personen zu Boden geworfen, mit Faustschlägen und Fusstritten gegen Kopf und Körper traktiert.
Die zumeist vermummten und schwarz gekleideten Kundgebungsteilnehmer entstammen der linksextremen Szene. Ihre Wut richtet sich unter anderem gegen Gentrifizierung und Wohnungsnot. Dirk Baier (46), Kriminologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, vermutet einen Zusammenhang mit der Räumung des besetzten Koch-Areals im Februar. «Innerhalb kurzer Zeit hat die Szene zweimal erfolgreich mobilisieren können. Die Schäden waren hoch, die Polizei musste Verletzte beklagen», sagt Baier zu Blick. «Das gibt der Szene weiter Auftrieb.»
Verbindungen zur Hooligan-Szene?
Bereits kurz nach der Räumung des jahrelang besetzten Koch-Areals im Februar war es zu einer Gewalteskalation gekommen. «Es ist zu erwarten, dass die Krawallmacher auch weiterhin versuchen werden, solche Aktionen durchzuführen», sagt Baier. «Möglicherweise erhalten sie dabei noch mehr Zulauf aus anderen Gebieten der Schweiz.» Die gewaltbereite linksextreme Szene sei in mehreren Schweizer Grossstädten aktiv. «Diese steht miteinander in Verbindung, und die Mitglieder reisen quer durchs Land für solche Aktionen.» Der Kriminologe geht zudem davon aus, dass andere gewaltbereite Gruppierungen – beispielsweise aus dem Hooligan-Bereich – an die Szene angebunden sind.
Wie der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem Lagebericht 2022 schreibt, ist die linksextreme Gewalt konstant bis rückläufig. «Gerade in letzter Zeit scheinen die linksextremen Aktivitäten unter anderem im Zusammenhang mit der Räumung des Koch-Areals in Zürich wieder zu steigen», sagt Baier. «Meine Einschätzung ist daher: Linksextreme Gewalt ist auf anhaltend hohem Niveau.»
Jung, männlich, noch nicht berufstätig
Solche Aktionen wie am Wochenende werden laut Baier hauptsächlich durch junge Männer getragen. Personen also, die noch wenig zu verlieren haben, weil sie beispielsweise noch keine fertige Ausbildung haben und noch nicht berufstätig sind. Insgesamt sei die linksextreme Szene altersmässig jedoch heterogen – es würden sich auch ältere «Kämpfer» darunter befinden. «Das Stereotyp, dass es sich um Kinder reicher Eltern handelt, trifft pauschal nicht zu. Es finden sich solche jungen Männer darunter, aber auch Männer aus anderen sozialen Schichten.»
Im städtischen Raum gebe es grundsätzlich mehr Personen, die sich der Szene zurechnen würden. Eine frühere Studie habe zudem gezeigt, dass sich Personen mit Migrationshintergrund stärker mit linksextremen Einstellungen identifizieren. Baier: «Gleichwohl finden sich in der Szene neben Secondos auch viele junge Schweizer.»
Nicht nur Hausbesetzer
Die Personen, die an den Krawallen teilnehmen, seien wahrscheinlich zum geringeren Teil aus der Hausbesetzer-Szene. «Es handelt sich vielmehr um Personen, die man der sogenannten Erlebnisgewalt zuordnen kann. Sie nehmen an solchen Aktionen teil, weil ihnen das gemeinsame Krawallmachen Spass macht, das Machtgefühl, was mit der kollektiven Gewalt einhergeht.» Eine gefestigte linksextreme ideologische Position liege wohl nur bei einer Minderheit vor.
In wenigen Wochen wird in Zürich der 1. Mai gefeiert. Alljährlich kommt es dabei zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Kundgebungsteilnehmern. Auch dieses Jahr? Baier glaubt, dass die Szene darauf reagieren wird, dass sich die Polizei vorbereitet. «Ich gehe eher davon aus, dass es punktuell und eher unangekündigt weitere Gewaltaktionen geben wird», sagt der Kriminologe.