Noch selten hat ein Nationalfeiertag die Schweizer Gemeinden derart in Alarmbereitschaft versetzt. Am Freitag feiert Eritrea 33 Jahre Unabhängigkeit. Die kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen warnen vor «Massenschlägereien und Ausschreitungen».
Der Grund: Die eritreische Community in der Schweiz ist tief gespalten – in Befürworter und Gegner des Regimes unter Diktator Isayas Afewerki (78). Schauplatz ihrer Auseinandersetzungen sind häufig eritreische Kulturfestivals, die von den Regime-Unterstützer organisiert werden.
Zum Beispiel am Ostersonntag in Gerlafingen SO: Eine Feier mit 350 Anhänger Afewerkis. 180 regimekritische Eritreer reisen an, um die Feier zu stören. Es kommt zu Krawallen, die Polizei setzt Gummischrot ein. Zwei Personen werden verletzt.
12 Verletzte bei Massenschlägerei
Dezember 2023 in Grellingen BL: Ein Festival der Unterstützer wird grossflächig abgeschirmt. 300 Regime-Gegner wollen die Polizeisperre durchbrechen. Vergeblich – dennoch kostet der Polizeieinsatz rund 185'000 Franken.
September 2023 in Opfikon ZH: Regime-Kritiker tauchen an einem Grillfest der Befürworter auf. Es kommt zu einer Massenschlägerei, die Polizei setzt Pfefferspray ein. 12 Personen werden verletzt.
Unter Ihnen die 22-jährige aus Eritrea stammende Schweizerin Snit Tesfamaryam. «Ich wurde von Diktator-Fans niedergetreten», erzählt sie gegenüber Blick. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt. «Mich traf es genau in die Augen», erinnert sie sich.
«Die heutige Diktatur Eritrea – das sind nicht wir»
Tesfamaryam kam als Achtjährige in die Schweiz. Ihre Familie war vor Afewerkis Regime geflüchtet. «Ich bin gegen Gewalt», sagt sie. «Doch ich habe ein Problem mit Eritreern hier, die Afewerki verehren. Sie dürfen in Freiheit leben – unterstützen aber ein Regime, das seinen Leuten die Freiheit genommen hat.»
In ihrer Wohnung in einem Vorort von Bern hängt eine blaue Flagge: Sie repräsentiert Eritrea als autonomer Teilstaat innerhalb Äthiopiens. Sie erklärt: «Wir sind kein Teil von Äthiopien mehr, das ist auch gut so. Aber wir haben keine Verfassung, keine freien Wahlen, Menschenrechte werden verletzt – und daran ist der Präsident schuld.»
Andere Menschen aus Eritrea sehen das ganz anders. Knapp 20 Kilometer entfernt, mitten in der Stadt Bern, sitzt Berhane Yohannes (60) an seinem Schreibtisch. Vor ihm: die blau-rot-grüne Flagge des heutigen Eritreas. «Ich stehe hinter meinem Präsidenten», sagt er.
«Wir dürfen doch stolz sein auf unser Land»
Yohannes flüchtete wegen des Unabhängigkeitskriegs mit Äthiopien. Unter dem Diktator hat er nie gelebt. Patriot ist er dennoch: «Wir haben gekämpft, ein eigenes Land sein zu dürfen und wir haben es geschafft. Darauf dürfen wir doch auch stolz sein.»
Der 60-Jährige hat eine Niederlassungsbewilligung für die Schweiz und veranstaltet seit 30 Jahren eritreische Kulturfestivals, sammelt dort Geld für die Menschen vor Ort. Immer wieder treten auch eritreische Beamte und Botschafter auf. Den Veranstaltern wird deshalb Propaganda vorgeworfen. Yohannes widerspricht: «Wir werden nicht von der eritreischen Regierung unterstützt.»
In den letzten zwei Jahren seien seine Veranstaltungen mehrfach nicht bewilligt worden. «Die Polizei befürchtete, dass wir von Gegnern angegriffen werden und sie uns nicht schützen kann», sagt Yohannes. «Ich verstehe das, gleichzeitig haben wir aber auch ein Recht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit.»
Dolmetscher unter Spionageverdacht
Manche in seiner Community hätten Angst, überhaupt noch an Veranstaltungen zu gehen. Yohannes findet: «Die Personen, die uns gegenüber gewalttätig sind, wollen den Ruf von Eritrea zerstören!»
Regime-Gegnerin Snit Tesfamaryam hält dagegen, sagt, dass sich auch regierungskritischen Eritreer bedroht fühlen: «Wir sind in die Schweiz gekommen, damit wir sicher sind vor dieser Diktatur. Und dann treten deren Beamte hier einfach so auf und verbreiten ihren Hass.»
So stehen eritreische Dolmetscher in der Schweiz unter dem Verdacht, für Präsident Afewerki zu spionieren.
«Behörden sollten das nicht mehr tolerieren»
Die gewalttätigen Auseinandersetzungen rücken derweil alle Eritreer in ein schlechtes Licht, da sind sich Befürworter und Gegner des Machthabers einig. Doch die Fronten sind verhärtet. Berhane Yohannes, der Präsident Afewerkis unterstützt, sagt: «Wir haben das Recht auf unsere Meinung, wie jeder andere hier auch.»
Regime-Kritikerin Snit Tesfamaryam hofft unterdessen, dass es am eritreischen Nationalfeiertag keine neuen Auseinandersetzungen gibt. Sie sieht dabei die Schweizer Behörden in der Pflicht. «Sie wissen, dass die Befürworter die Versammlungsfreiheit missbrauchen. Das sollten sie nicht mehr tolerieren.»