In Krisenzeiten braucht es einen bestimmten Schlag von Menschen. Menschen, die immense Kräfte entwickeln können. Die für die Sache Opfer erbringen. Wie der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, der 1840 herausfand, dass wegen ungewaschener Hände von Ärzten so viele Mütter am Kindbettfieber starben. Und der damit lange auf Widerstände stiess. Oder wie Markus Wolf (46), Chef der Bergbahnen Flims-Laax.
Ein Mann, der uns im Gespräch sagt: «Die Sache, die Sie da vorhaben, ist mir unangenehm.» Personenkult mag er nicht. Etwas viel Understatement für jemanden, der zuerst den Kanton Graubünden und dann den Bund dazu brachte, die Teststrategie zu ändern. Seine Bergbahnen setzten schon im Dezember auf Massentests. Ohne Wolfs Hartnäckigkeit würde heute kaum jemand ins Röhrli spucken. Speicheltests hatte keiner auf dem Radar.
Bis Bern mitzog, stand er wie Semmelweis vor verschlossenen Türen. Aber der Reihe nach.
Das BAG wimmelte ihn ab
Als Markus Wolf im Sommer 2020 an den Winter dachte, war ihm nicht wohl, er befürchtete: Ohne eine Lösung bleiben seine Gondeln im Depot. Er und seine Mitarbeiter fingen an zu recherchieren und landeten bei der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, später auch bei zwei Schweizer Labors. «Plötzlich waren wir eine Projektgruppe und tüftelten wochenlang an einer Methode herum. Wir merkten, Speicheltests sind eine gute Idee. Und Pooling.»
Pooling heisst: Mehrere Speichelproben – in ihrem Fall deren vier – werden zusammen getestet. Bei einem positiven Resultat muss man alle einzeln nachtesten, bei einem negativen spart man drei Tests – und Kosten. Die Voraussetzung für Massentests. Darauf war in der Schweiz keiner gekommen, am wenigsten der Bund.
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Im November, als die wissenschaftlich belegte Teststrategie für die Bergbahn stand, klopfte Markus Wolf sofort beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) an – dieses vertröstete ihn auf einen Termin im Dezember.
Wolf hielt inne. «Ich fragte mich: Will ich jetzt so viel Energie investieren, wenn die Behörden offenbar gar nicht an einem Input interessiert sind?» Doch er wusste eben, was er wusste: Würde man schon nur 15 Prozent der Bevölkerung regelmässig testen, würde die Infektionskurve steil abfallen. Und dann stiess er auch noch zufällig auf ein Dalai-Lama-Zitat: «Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist.»
Der Bergbahnen-Chef wurde zur Mücke, die den Behördenleuten um die Ohren flog.
Virginie Masserey (56), Chefin der Infektionskontrolle beim BAG, wimmelte ihn in einem Videocall im Dezember ab. Ihr Standpunkt damals: Das Testkonzept sei rechtlich nicht zulässig. Vielleicht habe man ihn nicht ernst genommen, weil der Vorschlag «von einem Bergbähnli und einer Uni aus Deutschland» gekommen sei, sagt Wolf. «Wir waren unerhört.» Die Behörden-Ignoranz schreckte ihn nicht ab. Er blieb beim Kanton Graubünden dran. Jener Kanton, der heute als Pionier im Massentesten gefeiert wird – dank Wolf und der Projektgruppe.
Warum lehnte sich Markus Wolf nicht einfach zurück, als er die Testerei in seinem Betrieb organisiert hatte?
Geht nicht, gibts bei ihm nicht
«Ich kann nicht zuschauen, wie unser Land mit den Lockdowns zugrunde gerichtet wird. So viele Existenzen werden vernichtet, ohne dass Alternativen geprüft werden», sagt er. Das ist nur die halbe Antwort. Wahr ist auch: «Wenn ich einmal angebissen habe, lasse ich nicht mehr los.»
Wolf, ein Kämpfer? Ganz klar. Ein Getriebener? Und wie.
Das zeigte sich zuletzt Anfang Januar. Zusammen mit einem Professor der Universität Mannheim schloss er sich in Laax ein, um das Konzept für Betriebstestungen für den Kanton Graubünden zu schreiben. Nachdem Wolf, zweifacher Familienvater, schon wochenlang nur noch am Arbeiten war, dafür sogar öfter in einer Wohnung in Laax übernachtet als zu Hause in Chur.
Wird er nie müde? Er habe mit 16 Jahren seine Mutter verloren. «Ich habe das Gefühl, ihre Energie dazu geerbt zu haben.» Der frühe Verlust prägte den ganzen Menschen Wolf. «Wenn du das schlimmste Vorstellbare erlebt hast, relativiert das alles.» Er habe sich immer geweigert, etwas immer gleich als Problem anzuschauen. «Das wurde vielleicht zu meinem Knacks.» Und damit eckte er an. Bei Bedenkenträgern, sagt er und verzieht leicht das Gesicht.
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Geht nicht, gibts bei ihm nicht. Davon profitiert jetzt das ganze Land. Nicht unbedingt aber immer er selbst, er komme oft zu kurz. «Und zu oft auch meine Familie.»