Auf einen Blick
Lange galt Viola Amherd (62) als die starke Frau im Verteidigungsdepartement (VBS). Die Mitte-Bundesrätin brachte zwei Jahre nach ihrem Antritt eine Kampfjet-Beschaffung an der Urne durch. Sie bewerkstellige es, eine massive Erhöhung des Armeebudgets im Bundeshaushalt zu verankern. Und in der Bevölkerung und im Parlament genoss sie viel Rückhalt.
Doch insbesondere durch die vergangenen «Skandalwochen» erhält Amherds Image immer tiefere Kratzer. Ende März tritt Amherd ab. Tut sie es als Gefallene?
Nach dem Höhenflug kamen die Turbulenzen
«Das Brutale an solchen Ämtern ist, dass das meiste an der obersten Führung haften bleibt», sagt Politikanalyst Mark Balsiger (58). Das diffuse Gefühl, dass Amherd ihr Departement nicht im Griff habe, habe sich schon länger in der Bevölkerung festgesetzt.
Spätestens die Berichte über das gesamte Ausmass der Korruptionsvorwürfe beim Rüstungsbetrieb Ruag werden das zementieren. Zumal Amherd und das VBS bereits seit Jahren über die Missstände Bescheid wussten. Und nicht einmal einen Tag später folgt die endgültige Ohrfeige: Auch Armeechef Thomas Süssli (58) und Nachrichtendienst-Chef Christian Dussey (59) verlassen bald das VBS-Schiff.
Zwar sei Amherd 2019 glänzend in ihr Amt gestartet, sagt Balsiger. «Doch nach dem Kampfjet-Erfolg begannen die ersten Turbulenzen.» So sorgten im VBS etwa holprige IT-Beschaffungen oder die chaotische Suche nach einem neuen Staatssekretär für Sicherheitspolitik schon länger für Schlagzeilen. Und auch als es Anfang letzten Jahres um einen möglichen «Liquiditätsengpass» bei der Armee geht, machten Amherd und ihr Armeechef bereits alles andere als eine gute Falle.
Auch Berater-Löhne kratzten an Amherds Image
Kurz vor Ende von Amherds Präsidialjahr überschlagen sich jedoch die Ereignisse. Im Herbst 2024 werden immer weitere Probleme bei den Infrastrukturprojekten der Armee bekannt. Die gesamte «Liste des Versagens» umfasst Projektkosten von satten 19 Milliarden Franken. Interne Berichte sprechen von einer «problematischen Führungskultur».
Es sind nicht die einzigen Themen, die in kürzester Zeit an Amherds Ansehen nagen: Auch das Honorar von Amherds engster Beraterin, Brigitte Hauser-Süess (70), wird kurz vor deren Abtritt plötzlich zum Aufreger. Und Ende Oktober attestiert ein Bericht der Schweizer Armee auch noch ein grosses, ungelöstes Sexismus-Problem.
Gegen Ende des Jahres spitzen sich die Probleme weiter zu. Am 18. Dezember – mitten in der Wintersession – wird die Finanzdelegation (FinDel) des Parlaments aktiv. In den Wochen zuvor sind noch einmal weitere Details zum Projekt-Chaos an die Öffentlichkeit gelangt. In einem geharnischten Brief an Amherd äussern die Finanzprüfer grosse Besorgnis über die Krisenprojekte des VBS.
Das will die Finanzaufsicht nicht mehr auf sich sitzenlassen. Sie kündigt an, den VBS-Beamten nun besser auf die Finger zu schauen. Und das Departement selbst soll seine eigene Aufsicht verstärken. Bis Mitte Februar muss Amherd den Finanzpolitikern aufzeigen, wie sie die Probleme in den Griff bekommen will.
Rücktritt vor der Aussprache
Bevor es dazu kommt, lässt Amherd jedoch kurz nach Neujahr – am 15. Januar – die Bombe platzen: Auf Ende März trete sie zurück. Zwar kursierten in Bundesbern bereits seit Wochen Gerüchte. Der kurzfristige Abgang sorgt jedoch für Verwunderung – und befeuert einen bösen Verdacht. «Tritt sie zurück, weil sie erschöpft ist oder weil sie eine Vorahnung hatte, dass bald alles zusammenbricht?», fragt Mark Balsiger. Besonders bei Amherd-Kritikern ist es wohl eine dankbare Fragestellung.
Immerhin: Dass die Suche nach einer Nachfolge chaotisch ausfällt, ist kaum Amherd anzulasten. Die erste Figur der Mitte, die sich tatsächlich als Kandidat zur Verfügung stellt, fährt der abtretenden Verteidigungsministerin jedoch direkt an den Karren. Die Liste der anstehenden Aufgaben sei lang, ätzt Nationalrat Markus Ritter (57) am 28. Januar. Und er selbst sei natürlich der geeignete Mann, um aufzuräumen. Es sind Aussagen, die auch für Amherd kaum förderlich scheinen.
Amherd geht in die Kommunikationsoffensive
Amherd und Armeechef Süssli wollen der wachsenden Kritik entgegentreten: Am 31. Januar informieren die beiden zusammen mit anderen VBS-Köpfen an einer Medienkonferenz über den aktuellen Stand der in Schieflage geratenen Schlüsselprojekte.
Das kommt auch bei den Finanzprüfern aus dem Parlament gut an: Die Finanzdelegation erwähnt sie nach der angekündigten Audienz am 14. Februar lobend.
Dennoch gehen die Parlamentarier mit Amherds Beamten hart ins Gericht: Das VBS benötige noch deutlich mehr Fleiss, um seine Projekte auf Kurs zu bringen – und solle endlich transparenter kommunizieren. Das versuchte Amherd offensichtlich: Sie stand eine Woche später – am 20. Februar – auch der Finanzkommission des Nationalrats aus eigener Initiative Red und Antwort.
Für Amherd persönlich wird sich die Kommunikationsoffensive kaum mehr auszahlen. Zumal die Bundesrätin im nächsten Monat keine nennenswerten Geschäfte mehr abschliessen können wird. Und ihre letzte Chance als Regierungsmitglied für ein Bad in der Menschenmenge – nämlich die Fussball-EM der Frauen – verpasst Amherd mit ihrem abrupten Rücktritt genauso.