Verdacht auf Betrug, Urkundenfälschung und Geldwäscherei – haarsträubende Missstände bei Ruag
Blick-Recherche bestätigt, aber es ist noch viel schlimmer

Ein Walliser Manager soll die Ruag als Selbstbedienungsladen genutzt haben. Es geht um Verdacht auf Betrug, Urkundenfälschung und Geldwäscherei. Der Schaden soll im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen. VBS-Chefin Viola Amherd schaute jahrelang zu.
Publiziert: 24.02.2025 um 23:00 Uhr
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Aktualisiert: vor 25 Minuten
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Neue Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle kritisieren VBS-Chefin Viola Amherd ...
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Chaos auf allen Ebenen: VBS, Armee, Armasuisse, Ruag
  • Verschiedene Strafverfolgungsbehörden sind involviert
  • Der Schaden soll im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Bundesrätin Viola Amherd (62) ist noch zwei Wochen im Amt, doch Berichte der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) vermiesen der VBS-Chefin den Abschied. Die Finanzkontrolleure bestätigen Recherchen von Blick, wonach das VBS seit 2019 von Korruptionsvorwürfen bei der Ruag wusste – und lange Zeit nichts dagegen unternahm. Das System Ruag versagte auf allen Ebenen: von der VBS-Chefin über den Ruag-Verwaltungsrat bis zu wechselnden Ruag-CEOs und einer schwachen Compliance-Abteilung, die sich nicht durchsetzen konnte. Kritischen Stimmen innerhalb der Ruag, die Missstände anprangerten, wurde nicht zugehört. Der Schaden ist höher als bislang bekannt.

Walliser Manager soll sich massiv bereichert haben

Im Zentrum der Vorwürfe steht ein Walliser Manager. Ein anonymer Whistleblower warnte schon 2019 vor dessen Geschäftspraktiken. Es geht um Getriebe des Kampfpanzers Leopard 2, die «an einen dubiosen deutschen Schrotthändler» verkauft worden seien – «und zwar deutlich unter Marktpreisniveau». So steht es in einer internen Meldung, über die Blick berichtete. Die deutsche Firma verschrottete das Material der Ruag nicht, sondern verkaufte es weltweit gewinnbringend weiter. Der Whistleblower wollte vom damaligen Ruag-Verwaltungsratspräsidenten Remo Lütolf (68) und VBS-Chefin Amherd wissen: «Warum macht man das, wenn es nicht zum eigenen persönlichen Vorteil dient?»

Ein weiterer Vorwurf lautet: Die Ruag-Tochter in Kassel (D) verticke Leopard-2-Baugruppen an einen Schrotthändler zu Preisen, «die deutlich unter 50 Prozent eines Neupreises liegen». Das Exportziel: Südostasien. Der Whistleblower fragt: «Wie ist sichergestellt, dass diese militärischen Güter nicht in Länder gehen, die aus Schweizer Sicht nie hätten beliefert werden dürfen?»

«Der Manager wurde gewarnt»

Die Vorwürfe wurden nicht sauber geklärt. Stattdessen wurde der Walliser Manager um eine Stellungnahme gebeten. Ein Insider zu Blick: «Der Manager wurde gewarnt, möglicherweise konnte er Beweismittel vernichten. Die Aufklärung von Korruptionsfällen muss von unabhängigen Stellen geschehen, nicht durch die Betroffenen selbst.»

Erst nachdem die deutsche Korruptionsstaatsanwaltschaft 2022 Ermittlungen aufnahm und es zu Hausdurchsuchungen kam, begriff die Ruag den Ernst der Lage. Schnell geriet auch die Ehefrau des Wallisers in Verdacht: Ihr gehörte eine Firma zu 50 Prozent, über die fragliche Rüstungsgeschäfte abgewickelt wurden.

Dennoch passierte auf politischer Ebene erst einmal nichts. Erst 2023 ordneten VBS-Chefin Amherd und der Ruag-Verwaltungsrat verschiedene Untersuchungen an. Bisherige Prüfungen nahmen einen Panzer-Deal in Norditalien ins Zentrum – dort rosten über 90 Leopard-1-Panzer vor sich hin, die der Schweiz gehören. Was mit ihnen passieren soll, ist unklar.

Es kommt noch viel schlimmer

Warum kommt nun alles noch viel schlimmer? Die Berichte der obersten Finanzprüfer zeigen schwarz auf weiss:

  • Schaden im Millionenbereich: «Der mögliche finanzielle Schaden der bisher bekannten Fälle dürfte je nach Bewertung des Materials im hohen zweistelligen Millionenbereich liegen», hält die EFK fest. Möglicherweise seien Rechnungen gefälscht worden, es gibt Hinweise auf verschiedene potenzielle Straftaten: ungetreue Geschäftsbesorgung, Betrug, Urkundenfälschung, Verletzung des Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisses, passive Bestechung, wirtschaftlichen Nachrichtendienst und Geldwäscherei. Nachdem die Ruag jahrelang zuschaute, hat sie mittlerweile selbst Strafanzeige erstattet. Die Ruag prüft, ob sie die Verantwortlichen – auch die ehemaligen Verantwortlichen in der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat – haftbar machen kann.

  • Brisanter Niederlande-Finnland-Deal: Ein besonders dreister Fall, über den Blick bereits berichtet hatte, ist ein Deal mit Niederlanden. Den Haag ist teilweise für die Wartung der finnischen Armee zuständig und war deshalb an Panzer-Ersatzteilen der Ruag für Finnland interessiert. Über verschiedene Schritte verkaufte der Walliser Ruag-Manager Ersatzteile an einen Geschäftspartner. Wie die EFK nun zeigt, sollen statt der 3 Millionen Franken die Ersatzteile tatsächlich 48 Millionen Euro wert gewesen sein. Die EFK vermutet, dass der Gewinn des Ersatzteil-Deals «ausserhalb der Ruag-Gesellschaften generiert» werden sollte. Im Klartext: Die Zeche für den Subventionsbetrieb Ruag sollte weiterhin der Steuerzahler stemmen – Gewinne kassierten mutmasslich der Walliser Ruag-Manager, seine Ehefrau und Geschäftspartner über Drittfirmen ein.

  • Chaos im Lager der Armee und bei Armasuisse: Die neuen EFK-Berichte stellen der Schweizer Armee und dem Rüstungsamt Armasuisse ein schlechtes Zeugnis aus. Die Ruag konnte sich offenbar am Lager der Schweizer Armee bedienen und so das Vermögen der Armee schädigen. «Die Logistikbasis der Armee hat als verantwortliche System- und Lebenswegmanagerin eine ungenügende Kontrolle über die Bestände und die Abgänge von Material», kritisiert die EFK. Im Zeitraum 2014–2023 – es betrifft also auch die Zeit der Bundesräte Ueli Maurer (74) und Guy Parmelin (65) an der Spitze des VBS – habe die Ruag 1140 Verschrottungen und 1319 Inventuranpassungen ohne Bewilligung der Armee vorgenommen. Das Rüstungsamt Armasuisse, das für die Verträge mit der Ruag zuständig ist, hat die Einhaltung der Verträge nicht konsequent durchgesetzt.

  • Chaos im Bundesrat und im Management: Das VBS sollte dem Ruag-Verwaltungsrat den Tarif durchgeben – doch das passierte gar nicht oder nur unprofessionell: Die EFK schreibt, «wesentliche Entscheide in der Vergangenheit» seien «ausserhalb der Eignergespräche bilateral über informelle Kanäle» zwischen der Ruag und dem VBS gelaufen. Auch Ruag-intern wurde schlecht geführt, der Verwaltungsrat und die alte Geschäftsleitung kamen ihrer Verantwortung nicht nach. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats wertet die Berichte der EFK als «besorgniserregend» – und kündigt an, die Führung und Steuerung der Ruag unter die Lupe zu nehmen.

Die Ruag beteuert, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und den Bereich der Compliance stärken zu wollen. In Sachen Transparenz macht die Ruag aber bereits einen Rückschritt: Zahlen zu Compliance-Meldungen hat sie früher auf ihrer Website veröffentlicht, die entsprechenden Grafiken wurden mittlerweile von der Website entfernt. «Wir werden in Zukunft auf die Veröffentlichung entsprechender Übersichten verzichten», teilt die Ruag auf Anfrage von Blick mit.

Blick hat immer wieder versucht, mit dem Walliser Ruag-Manager zu sprechen – ohne Erfolg. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

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