Wettbewerb um Klinik-Fachkräfte
Rekrutierung im Ausland stösst auf Kritik

Schweizer Spitäler suchen zunehmend ennet der Grenze nach Personal. Aber auch dort herrscht vielfach Mangel an Ärzten und Pflegekräften.
Publiziert: 30.04.2023 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2023 um 12:47 Uhr
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In der Schweiz fehlten Ende 2022 insgesamt 13'500 Pflegekräfte und Ärzte.
Foto: Keystone
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Peter AeschlimannRedaktor

Als die Berner Insel Gruppe vor einer Woche die definitive Schliessung zweier Spitäler bekannt gab, liess Verwaltungsratspräsident Bernhard Pulver (57) keinen Zweifel am Grund dieser Massnahme: Fachkräftemangel. Man müsse die Angebote und Standorte konsolidieren, so Pulver: «Nur so schaffen wir es, das Personal zu entlasten und gleichzeitig bestmöglich einzusetzen.»

Mit ihren Sorgen sind die Berner nicht allein. Alle Spitäler, die SonntagsBlick anfragte, sprechen von einem Unterangebot qualifizierten Personals. Im Unispital Zürich gibt es derzeit 200 Vakanzen im Pflegebereich, im Kantonsspital St. Gallen sind 50 Stellen ausgeschrieben. In der gesamten Schweiz fehlten Ende 2022 13'500 Pflegekräfte und Ärzte. Und Besserung ist nicht in Sicht: 2040 könnten nach einer Schätzung der Beratungsfirma PWC 45'000 Stellen im Gesundheitswesen unbesetzt bleiben, knapp 40'000 allein in der Pflege.

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Benefits lösen das Problem nicht

Kein Wunder, unternehmen die Spitäler alles, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten. Das Unispital Zürich erhöhte die Zulagen für Nacht- und Wochenenddienste, richtete einen Teuerungsausgleich von 3,1 Prozent aus und gewährte sämtlichen Angestellten einen zusätzlichen freien Arbeitstag.

Am Berner Inselspital vergrösserte man die Teams auf den Bettenabteilungen, um möglichst flexibel auf die Arbeitszeitwünsche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen zu können.

Allein mit Benefits lässt sich das Problem allerdings nicht aus der Welt schaffen. Deshalb setzen Spitäler vermehrt auf Rekrutierung im Ausland. Das Kantonsspital Aarau führt Castings in Rom durch, die Privatklinikgruppe Hirslanden machte an einer Messe in Berlin Werbung für den Standort Schweiz. Auch die Unispitäler Zürich und Bern suchen ennet der Grenze nach Fachkräften. Dort gehen sie Partnerschaften mit Firmen ein, die Pflegekräfte anwerben, und schalten Inserate.

Rechtlich ist das kein Problem – es gilt die Personenfreizügigkeit. Ethisch allerdings sieht es anders aus. Die Schweiz hat den WHO-Kodex zur Rekrutierung von Gesundheitspersonal unterschrieben, nach dem jedes Land Fachkräfte ausbilden und im Job halten soll. Davon sei die Schweiz weit entfernt, sagt Martin Leschhorn (53), Geschäftsführer von Medicus Mundi, einem Netzwerk für faire Gesundheitszusammenarbeit. Auch wenn der WHO-Kodex keine verbindlichen Vorgaben macht, sei eine aggressive Abwerbung im Ausland ethisch fragwürdig.

Abwerben ist ein Dominoeffekt

Denn die Situation unterscheidet sich dort kaum von der in der Schweiz, ist oft sogar prekärer. «Wir haben in Deutschland einen massiven Mangel an Pflegefachpersonen, der sich in den kommenden Jahren, wenn die Babyboomer in Rente gehen, noch verschärfen wird», sagt Anja Kathrin Hild, Sprecherin des Berufsverbandes für Pflegeberufe. Aktuell seien 200'000 Vollzeitstellen unbesetzt. Ähnlich ist die Lage in Österreich. 2022 waren dort 28'000 Stellen im Gesundheitswesen unbesetzt – 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

Dass die Schweiz ausgerechnet in Zeiten eines europaweiten Fachkräftemangels auf Rekrutierungstour im Ausland geht, stösst dort sauer auf. Anja Kathrin Hild vom deutschen Pflegeverband: «Aus unserer Sicht darf das Abwerben von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern nicht dazu führen oder beitragen, dass sich die Versorgungssituation im Herkunftsland verschlechtert.» Dies gelte ebenso für Rekrutierungen wie für Abwerbungen aus Deutschland. Herbert Motter, Sprecher der Wirtschaftskammer Vorarlberg, sagt: «Das ist natürlich keine angenehme Situation.» Besonders im Pflegebereich habe Österreich einen enormen Bedarf. Auch man selbst versuche, im Ausland fündig zu werden, etwa mit der Fachkräfte-Initiative «Chancenland Vorarlberg». Motter: «Wir sitzen doch alle im selben Boot.»

Die Jagd nach Talenten kann gravierende Folgen haben, etwa zu einem gewissen Dominoeffekt führen. Während die Schweiz oder Deutschland Fachkräfte in Polen rekrutieren, suchen die Osteuropäer zum Beispiel auf den Philippinen nach Ersatz. Am Ende leiden Länder an Unterversorgung, die ohnehin nur ein schwaches Gesundheitssystem haben.

Die Folgen könnte auch der reiche Westen zu spüren bekommen. Etwa beim Ausbruch der nächsten Pandemie. Medicus-Mundi-Geschäftsführer Martin Leschhorn: «Fehlt bei einem Krankheitsausbruch das Fachpersonal, um die Verbreitung des Erregers einzugrenzen, kann das im Endeffekt auch die Sicherheit in der Schweiz gefährden.»

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