Am Dienstag vollzogen die ständerätlichen Migrationspolitiker eine Kehrtwende, wie man sie selbst in Bern selten sieht. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats will nicht einmal darüber diskutieren, hochqualifizierte Ausländer, die in der Schweiz studiert haben, für den hiesigen Arbeitsmarkt zu gewinnen. Vor ein paar Jahren hatten National- und Ständerät vom Bundesrat noch genau das gefordert.
Der St. Galler FDP-Nationalrat Marcel Dobler (42) hatte damals vorgeschlagen, dass Uni-Absolventen und Doktoranden aus Nicht-EU-Staaten nach ihrem Abschluss unbürokratisch in der Schweiz bleiben können, wenn sie eine Stelle in einem Bereich mit ausgewiesenem Fachkräftemangel finden. Heute ist das nicht so einfach, denn für Leute aus solchen Drittstaaten gelten Kontingente. Pro Jahr bekommen nur 8500 Menschen eine solche Bewilligung. Sind die aufgebraucht, hat der Rest Pech.
Alle Parteien unterzeichneten
Die Folge: Die mit Schweizer Steuergeldern teuer ausgebildeten Spezialistinnen und Spezialisten müssen das Land verlassen. Dobler wollte das mit seiner Motion verhindern. Und viele mit ihm: Nicht nur unterzeichneten seinen Vorstoss 27 andere Politiker aus allen Parteien inklusive SVP. Auch National- und Ständerat stimmten mit grosser Mehrheit zu, worauf der Bundesrat eine Änderung des Ausländergesetzes aufgleiste.
Doch nun, wo die Gesetzesänderung auf dem Tisch liegt, wollen die ständerätlichen Migrationspolitiker von der Forderung nichts mehr wissen. Recherchen zeigen, dass seine eigenen Parteikollegen Dobler in den Rücken gefallen sind. Hinter dessen Idee stellten sich in der Kommission nur noch links-grüne Ständeräte und Ständerätinnen.
Verfassungswidrig und nicht nötig
Andrea Caroni (43) hat Doblers Vorstoss von Anfang an abgelehnt. Der Ausserrhoder FDP-Ständerat fühlt sich nun bestätigt: Der Bundesrat sage klar und deutlich, dass eine Ausnahme von den Kontingenten gegen die Verfassung verstossen würde. Nach dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative sind Kontingente für Ausländer, die von ausserhalb der EU kommen, zwingend.
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Und gegen die Verfassung verstossen – «das sollten wir nicht tun. Dies umso weniger, als gemäss Bund die Kontingente in den vergangenen Jahren gar nie ausgeschöpft wurden», so Caroni. «Es hat also genügend Kontingente für diese Hochschulabsolventen, die Kantone müssen sie nur gebrauchen.»
Corona-bedingter Rückgang
In der Tat sind die Kontingente in den letzten Jahren nicht ausgeschöpft worden – doch das lag vor allem an der Corona-Pandemie. Noch 2019 musste der Bundesrat die Kontingente auf Druck der Wirtschaft aber erhöhen.
Probleme gebe es auch heute noch, sagt FDP-Nationalrat und Unternehmer Andri Silberschmidt (29): «Klar ist, dass KMUs und Starts-ups geringe Chancen haben, jemanden innerhalb des Kontingents zu bekommen. Auch, weil die Bewilligungspraxis der Kantone eher restriktiv ist.» Silberschmidt findet: «Mit der bewussten Aufnahme von hochqualifizierten, in der Schweiz ausgebildeten Ausländern steuern wir die Zuwanderung doch genau eigenständig, wie die SVP das mit der Masseneinwanderungs-Initiative verlangt hat.»
Dobler gibt nicht auf
Dobler ist in jedem Fall enttäuscht. «Der Entscheid ist frustrierend, umso mehr als damals Vertreter aller Parteien meinen Vorstoss unterschrieben haben. Ich erwarte nun konstruktive Lösungen für ein existierendes Problem», sagt er und kündigt an, bei den Ständeräten nochmals zu weibeln.
Unterstützung bekommt er von grüner Seite: Die grüne Ständerätin Lisa Mazzone (35) nennt die Argumentation der Gegner «realitätsfremd». «Zumal sich die Wirtschaftsverbände ja noch gemeldet hatten und uns dringend gebeten hatten, den Weg für Hochschulabgänger freizumachen.»