Eigentlich würde man erwarten, dass die Angestellten beim derzeitigen Fachkräftemangel bei Verhandlungen am längeren Hebel sind: Doch sie beissen sich bei Lohnerhöhungen oft die Zähne aus. Das sorgt für Frust – und neuerdings auch für eine härtere Gangart. Einige Mitarbeiter lassen es so richtig knallen und drohen gar mit einer Kündigung, falls es nicht mehr Lohn gibt. Dieses Phänomen nennt sich «Loud quitting».
Dass sich Arbeitgeber bei Lohnerhöhungen tendenziell knausrig geben, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Im vergangenen Jahr frass die Teuerung von 2,8 Prozent die durchschnittliche Lohnerhöhung von 2,2 Prozent mehr als auf. In Deutschland und den USA sind die Reallöhne gar um über 3 Prozent gesunken. So überrascht es wenig, dass gerade in den USA jüngere Arbeitskräfte vermehrt auf den Tisch hauen.
Krawall kann nach hinten losgehen
«Von diesem Mittel machen in der Regel nur die Arbeitnehmer Gebrauch, die sehr gesucht sind auf dem Arbeitsmarkt und sofort eine andere Stelle finden würden», sagt Arbeitsmarktexperte Matthias Mölleney (62) gegenüber dem «Tagesanzeiger».
Wer seine Verhandlungsposition überschätzt, kann schnell auf dem Boden der Tatsachen landen. Denn Arbeitgeber können das krawallartige Auftreten auch als Verstoss gegen die Treuepflicht verstehen. Das kann mit einer Verwarnung, schlimmstenfalls gar in einer Kündigung enden.
In zwei Jahren fehlen 365'000 Fachkräfte
Doch der Fachkräftemangel hat in der Schweiz inzwischen praktisch alle Branchen erfasst: Restaurants und neuerdings auch eine Spitalgruppe verkürzen ihre Öffnungszeiten. IT-Firmen und Industriekonzerne suchen händeringend nach Personal. In diesem Jahr sollen gemäss einer Studie des Jobvermittlers Dynajobs AG 200'000 Leute fehlen. In zwei Jahren schon 365'000 Personen.
«In Zeiten eines gravierenden Fachkräftemangels haben die Arbeitnehmer generell mehr Macht, und deswegen ist die Gruppe, die sich ein ‹Loud quitting› leisten kann, ungewöhnlich gross», sagt Mölleney zum «Tagesanzeiger». (smt)