Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock
Die Sehnsucht nach Frieden

US-Präsident Joe Biden flog lieber nach Hollywood als auf den Bürgenstock. Trotzdem: Eine Friedenskonferenz von diesem Ausmass hat die Schweiz noch nicht gesehen.
Publiziert: 15.06.2024 um 21:26 Uhr
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Gruppenbild mit Bundespräsidentin: Viola Amherd schaut sich auf dem Bürgenstock um.
Foto: AFP
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) hat eine intensive Tour d'Europe hinter sich. Am Dienstag und Mittwoch war er in Berlin. Danach ging es nach Apulien (Italien) zum G7-Gipfel. Seit Freitagabend weilt er auf dem Bürgenstock. Ob er wenigstens kurz den 10'000 Quadratmeter grossen Spa-Bereich des Luxushotels geniessen konnte? Selenski tritt gestern Samstag jedenfalls mit wachen Augen und entschlossenen Worten vor die Presse. Seine zentrale Botschaft: «Ohne Russland gäbe es keinen Krieg! Geben wir der Diplomatie eine Chance. Slawa Ukrajini (Ruhm der Ukraine)!»

Nächste Konferenz in Saudi-Arabien?

Die Bürgenstock-Konferenz ist nicht vom Himmel gefallen. Es gab Vorläuferkonferenzen in Kopenhagen (Dänemark), Dschidda (Saudi-Arabien) und auf Malta. Auffallend euphorisch lobt Selenski die Gastfreundschaft der Saudis. Ein Fingerzeig darauf, dass die nächste grosse Friedenskonferenz in Saudi-Arabien stattfindet? Gut möglich.

Selenski hofft auf einen Befreiungsschlag, denn aktuell steht er zwischen allen Fronten. Militärisch geht es nicht voran. Selenskis Umfragewerte, die zu Kriegsbeginn bei 90 Prozent lagen, sind auf 60 Prozent gefallen. Sein Befreiungsschlag dürfte auf dem Bürgenstock ausbleiben. Immerhin kann er der Heimatfront demonstrieren: Ich kämpfe wie ein Löwe für mein Land. Und die Hälfte der Welt kämpft mit uns, allen voran die Nato, die EU – und auch die Schweiz. Die «New York Times» reduziert die Schweizer Diplomatie auf die Hotelier-Rolle und titelt: «Die Ukraine organisiert eine Friedenskonferenz in der Schweiz.» 

Last-Minute-Reisen nach Berlin und Genf

Dass selbst die «New York Times» irren kann, beweisen die Last-Minute-Reisen von Bundespräsidentin Viola Amherd (62) und Bundesrat Ignazio Cassis (63). Cassis war in Berlin, um für den Schweizer Gipfel zu werben. Und Amherd flitzte am Donnerstag nach Genf, um auf den letzten Drücker ihren brasilianischen Kollegen Lula da Silva (78) zu überreden, doch noch an der Bürgenstock-Konferenz teilzunehmen. Am Ende schickte Brasilien seine Botschafterin in die Schweiz. Ein Achtungserfolg für Amherd oder bedeutungslose Symbolpolitik? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Auch wenn die meiste Arbeit beim Aussendepartement lag: Amherd verbucht die Konferenz als persönlichen Erfolg und verknüpft sie mit ihrem Präsidialjahr. Sie tritt im blauen, kragenlosen Hosenanzug auf – jenem Look, den sie bereits fürs Shooting des Bundesratsfotos wählte. Strahlendes Blau, einst die Farbe der Gottesmutter Maria, der Könige und des Himmels, wird zum Sinnbild für die Sehnsucht nach Frieden. Dass Blau auch die Farbe der EU und der Nato ist, passt in Amherds Koordinatensystem.

Die Ukraine ist die Kornkammer der Welt

Schon länger steht fest: Der Bürgenstock wird kein Friedensgipfel, sondern ein 15 Millionen teures Vorbereitungstreffen für eine Friedenskonferenz, die irgendwann einmal stattfinden soll – vielleicht Ende Jahr in Saudi-Arabien. Auf dem Bürgenstock geht es nicht um territoriale Fragen, sondern um nukleare Sicherheit (kein Angriff auf Atomkraftwerke), Humanitäres (Austausch von Gefangenen und Schutz der Zivilbevölkerung) sowie Ernährungssicherheit. Vor allem Letzteres ist den Ländern des globalen Südens ein Herzensanliegen. 

«Die Ukraine ist ein wichtiger Getreidelieferant für viele arme Länder. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine führt zu Ernteausfällen und Lieferengpässen», sagt Bernd Nilles vom Schweizer Hilfswerk Fastenaktion. «Das kann die Ernährungssicherheit von schätzungsweise 400 Millionen Menschen weltweit bedrohen. In vielen armen Ländern sind durch den Krieg immer wieder die Lebensmittelpreise gestiegen, was armen Menschen den Zugang zu Nahrung erschwert.»

Biden fliegt lieber nach Hollywood

Die USA hingegen messen der Friedenskonferenz keine Top-Priorität zu. US-Präsident Joe Biden (81) befindet sich im Wahlkampf. Er flog direkt vom G7-Gipfel in Italien nach Los Angeles, um eine Spendengala mit Hollywoodstars wie Julia Roberts (56) oder George Clooney (63) zu feiern. Dafür springt US-Vizepräsidentin Kamala Harris (59) ein.

Am Samstagabend steht noch nicht fest, wie weichgespült die Abschlusserklärung ausfallen muss, damit alle anwesenden Staaten zustimmen. Zumindest das Wetter macht Hoffnung: Am frühen Abend bricht die Sonne durch.

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