SVP-Bundesrat warnte vor einer Polarisierung der Gesellschaft
Parmelin drückte beim Covid-Zertifikat auf die Bremse

Als der Bundesrat im September die Zertifikatspflicht ausweitete, stellte sich das Wirtschaftsdepartement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin gegen die Idee. Und präsentierte einen Alternativvorschlag.
Publiziert: 08.01.2022 um 12:55 Uhr
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Im September beschloss der Bundesrat die Ausweitung der Zertifikatspflicht – damals noch 3G.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Eine Ausweitung der 2G-Regeln, 2G+ und Homeoffice-Pflicht. Das vorweihnachtliche Massnahmenpaket hatte im Bundesrat für Diskussionsstoff gesorgt. Mit dem schnellen Booster, wonach frisch Geimpfte und Geboosterte mit von der Testpflicht befreit werden, fanden die Bundesräte zur Einigkeit – einzig SVP-Bundesrat Ueli Mauer (71) mochte nicht mitziehen, wie Blick berichtete.

Klar ist aber: Nicht nur Maurer steht meist in Opposition zu den Corona-Massnahmen seiner Kolleginnen und Kollegen. Auch aus dem Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (62) kommt immer wieder Widerstand oder zumindest Skepsis, auch wenn der Waadtländer in den Bundesratssitzungen dann öfters mal einlenkt.

Der SVP-Magistrat gehört nicht nur zu den Kritikern der Homeoffice-Pflicht, auch bei der Zertifikatspflicht drückt er auf die Bremse. Das war schon früh so, wie amtliche Dokumente zeigen, welche Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.

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Als es nach den Sommerferien um die Ausweitung der 3G-Zertifikatspflicht – damals also noch für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete – auf Beizen, Fitnesszentren, Kinos und Veranstaltungen in Innenräumen ging, meldete sich Parmelins Generalsekretariat mit einer geharnischten Stellungnahme zu Wort.

3G-Ausweitung «ziemlich kontraproduktiv»

Wie schon seit Beginn der Pandemie deute alles darauf hin, dass die Mehrheit der Infektionen im privaten Bereich stattfinde, analysierte Parmelins Generalsekretärin Nathalie Goumaz Ende August.

Die Ausweitung der Zertifikatspflicht auf einen grossen Teil des Dienstleistungs-, Kultur- und Sportsektors erachtete sie daher als «doch ziemlich kontraproduktiv zum jetzigen Zeitpunkt». Als kurzfristigen Effekt der 3G-Ausweitung befürchtete sie «eine Polarisierung der Gesellschaft und eine Verhärtung der Fronten, was wir um jeden Preis vermeiden wollen».

Parmelins Departement rechnete auch mit Umsetzungsproblemen. So fehle dem Gastropersonal die Legitimation zur Zertifikatskontrolle und Gäste ohne Zertifikat könnten trotzdem auf einen Zutritt drängen.

Parmelins Alternativvorschlag

Gleichzeitig zeigte Goumaz Verständnis für die angespannte epidemiologische Lage – befand sich die Schweiz doch mitten in der vierten Welle mit damals um die 3000 Delta-Infektionen täglich.

Entgegenkommen zeigte das Wirtschaftsdepartement deshalb mit einem Alternativvorschlag, den Parmelin bereits in einem früheren Mitbericht eingebracht hatte: Das 3G-Zertifikat sollte in Innenräumen nur bei Veranstaltungen mit mehr als 150 Personen zum Einsatz kommen. Das sei «instinktiv» die Grenze für eine semiprofessionelle Veranstaltung.

Für grössere Veranstaltungen brauche es organisatorische Kapazitäten, welche an den Eingängen auch eine Zertifikatskontrolle ermögliche. Man müsse nun Mikromanagment und die Rückkehr zu schwer zu bewältigende Situationen vermeiden und stattdessen schrittweise vorgehen, so das Schreiben.

Das Wirtschaftsdepartement zeigte sich daher offen für die Option, die von Alain Bersets Innendepartement vorgeschlagenen Massnahmen wenn nötig später umzusetzen. «Würden diese Massnahmen bereits Anfang September umgesetzt, gäbe es in den nächsten Monaten keinen Handlungsspielraum mehr – abgesehen von weiteren kompletten Schliessungen bestimmter Teile der Wirtschaft, was unter allen Umständen vermieden werden muss.»

Das Wirtschaftsdepartement ging zudem davon aus, dass mit kostenpflichtigen Schnelltests – diese wurden allerdings erst Mitte Oktober eingeführt – die Zahl der Getesteten an Veranstaltungen sowieso sinken werde. Und damit jener Teil der Bevölkerung mit dem grössten Risiko die Spitäler belasten.

Wirtschaftsdepartement pochte auf Befristung

Für den Fall, dass die Zertifikats-Ausweitung doch beschlossen werden sollte, wollte das Wirtschaftsdepartement zugesichert haben, dass die bisherigen Schutzmassnahmen wie Plexiglas-Abtrennungen oder die Kontaktdaten-Erhebung dahinfallen müssten.

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Zudem pochte das Departement Parmelin auf mehr Berechenbarkeit. «Wird ein Damoklesschwert über der Gesellschaft schweben für die nächsten Wochen/die nächsten Monate?», fragte Goumaz pathetisch. Und machte klar: «Es ist nicht akzeptabel, dass der Bundesrat auf unbestimmte Zeit einen Blankoscheck erhält, um eventuell oder wenn er es für opportun hält, zu entscheiden, diese für die Gesellschaft und Wirtschaft sehr einschneidenden Massnahmen umzusetzen.»

So müsse klar sein, wie lange die Zertifikats-Ausweitung gelten soll. «Ebenso kurz wie möglich und so lange wie nötig wie die Maskentragpflicht im öffentlichen Verkehr?», fragte Goumaz spöttisch und forderte eine zeitliche Begrenzung «auf drei Monate» – mit der Option auf Verlängerung.

Am 8. September beschloss der Bundesrat die 3G-Ausweitung. Parmelin stand mit seinem Alternativvorschlag auf verlorenem Posten. Immerhin in einem Punkt setzte er sich halbwegs durch: Der Bundesrat befristete die Zertifikatspflicht auf den 24. Januar 2022.

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