Der Booster gilt als wichtigstes Mittel im Kampf gegen die Corona-Pandemie – insbesondere, was die Omikron-Variante betrifft. Der Bund hat den Booster Ende Oktober für Risikopersonen zugelassen – in erster Linie Seniorinnen und Senioren. Einen Monat später gabs die Auffrischimpfung für alle – allerdings immer noch mit einer Wartefrist von sechs Monaten. Erst Mitte Dezember wurde diese angesichts der anrollenden Omikron-Welle auf vier Monate verkürzt.
Kein Wunder, hinkt die Schweiz beim Boostern hinterher. Bis Sonntag hat erst ein Viertel der Bevölkerung den dritten Piks erhalten. Staaten wie Israel, die USA, Grossbritannien, Frankreich oder Deutschland hatten schon Wochen oder gar Monate früher mit Boostern begonnen. Das helvetische Zuwarten sorgte vielerorts für Kritik.
Seco wollte früher boostern
Jetzt zeigen Dokumente, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat, dass im Departement von SVP-Bundesrat Guy Parmelin (62) die Booster-Frage schon früh gestellt wurde. Als es vor vier Monaten nämlich darum ging, wie auf die vierte Corona-Welle nach den Sommerferien reagiert werden soll.
«Jüngste Daten aus Israel scheinen darauf hinzudeuten, dass die Zahl der schwerwiegenden Impfdurchbrüche mit Hospitalisierungsfolge bei ausbleibenden Booster-Impfungen in den kommenden Monaten zunehmen könnte», warnte das Seco Ende August in einer Stellungnahme. «Gerade in einem Umfeld mit vielen Ungeimpften würde dies eine vermeidbare und vielleicht kritische Belastung von Spitalkapazitäten bedeuten.»
Im Bewusstsein, dass sich aus den hiesigen Daten «noch kein akuter Bedarf für Booster-Impfungen ableiten lässt», stellten die Beamten von Wirtschaftsminister Parmelin trotzdem die Frage, wie sich sicherstellen lasse, «dass die Booster-Impfungen in der Schweiz frühzeitig zugelassen werden». Doch das Bundesamt für Gesundheit konnte nicht handeln, denn die unabhängige Heilmittelbehörde Swissmedic erteilte erst Ende Oktober die Zulassung.
Intensivbetten und Contact Tracing
Die Booster-Thematik ist nicht die einzige kritische Frage, die das Seco einbrachte. So wollte es vom Innendepartement wissen, wie gross der Spielraum ist, die Kapazitäten auf den Intensivstationen zu erhöhen.
«Welche Möglichkeiten hat der Bund, die Spitäler beim temporären Aufbau und Betrieb von zusätzlichen Kapazitäten zu unterstützen?», so das Seco. Damit lag es ganz auf Linie der SVP, die Gesundheitsminister Alain Berset (49) auch heute noch dafür kritisiert, dass er den Aufbau weiterer Bettenkapazitäten verpasst habe.
Nur, dass dafür die Kantone zuständig sind – und bei diesen sind nicht die Betten das Problem, sondern das fehlende Fachpersonal. Das machte Berset Anfang September in den Ausführungen zuhanden seiner Bundesrats-Gspänli deutlich: Es werde nicht mehr möglich sein, nicht-zertifizierte Betten in Betrieb zu nehmen. «Grund hierfür dürfte ein akuter Personalmangel sein», so Berset. Nicht einmal die verfügbaren zertifizierten IPS-Betten könnten alle betrieben werden. «Damit sind einige Kantone der Aufforderung des Bundesrates, die Spitalkapazitäten auf eine erneute Welle auszurichten, nicht nachgekommen», machte Berset seinem Ärger Luft. Deshalb werde die Überlastungsgrenze früher erreicht als bisher angenommen.
Zu jenem Zeitpunkt hatten verschiedenen Spitäler bereits wieder damit begonnen, nicht dringende Eingriffe zu verschieben, um möglichst genügend Reservekapazitäten für Covid-Intensivpatienten zurückzustellen. Eine ähnliche Situation wie in der aktuellen Welle. Wobei der Bund mittlerweile in verschiedenen Kantonen mit Armee-Einsätzen aushilft.
Abgebautes Contact Tracing
Und noch eine weitere Frage stellte das Seco: Jene nach dem Contact Tracing. Die Wirtschaftsfachleute monierten, dass die kantonalen Ressourcen teilweise abgebaut worden seien. Und sie wollten von Berset wissen, wie das kantonale Contact Tracing nochmals «rasch und stark intensiviert» werde.
Damit dürften sie beim SP-Magistraten auf Verständnis gestossen sein, drängte der Gesundheitsminister die Kantone doch mehrfach, für genügend Contact-Tracing-Stellen zu sorgen.
«Tiefe volkswirtschaftliche Kosten»
Zur eigentlichen Kernfrage in der damaligen Debatte, der Ausweitung der 3G-Zertifikatspflicht auf öffentlich zugängliche Innenräume wie Beizen, Kinos oder Fitnesscentren, äusserte sich das Seco hingegen nicht. Diesbezüglich überliess es das Feld dem Wirtschaftsdepartement.
Interessant ist denn auch, unter welchen Gesichtspunkt das Seco seine Überlegungen stellte. Ihm ging es in seiner Stellungnahme in erster Linie nämlich darum, «welche weiteren Massnahmen mit tiefen volkswirtschaftlichen Kosten ins Auge gefasst werden können».