Nach ihrem deutlichen Wahlsieg vom Sonntag erhebt die SVP den Führungsanspruch im bürgerlichen Lager. FDP und Mitte müssten nun Hand bieten zu Lösungen, betonen die Parteioberen unisono. Lösungen, die die SVP vorgibt. Doch ganz so einfach wird es nicht.
Die SVP kommt im Nationalrat zwar auf 62 Sitze – mit ihren Verbündeten aus Lega, EDU und MCG wären es 67. Doch noch ist unklar, ob sich die Kleinstparteien der SVP anschliessen. Auch mit den 28 FDP-Sitzen fehlt noch ein gutes Stück zum absoluten Mehr von 101 Stimmen. Und selbst dann sind bürgerliche Mehrheiten nicht immer möglich, wie die Legislatur von 2015 bis 2019 gezeigt hat.
Die Rechte ist zwar erstarkt, doch entscheidend bleibt in vielen Fällen die Mitte mit ihrem Parteichef Gerhard Pfister (61). Er hat seine Macht weiter ausgebaut. Ob die von der SVP geforderte bürgerliche Zusammenarbeit stärker funktioniert, hängt also von den Launen der Mitte ab.
Die Einschätzungen von Blick-Politikchefin Sermîn Faki
In wichtigen Bereichen stehen in den kommenden vier Jahren wichtige Entscheide an. Blick zeigt, wo der Rechtsrutsch Folgen haben wird – und wo nicht.
Härterer Asylkurs
Die SVP hat die Migrationskarte immer und immer wieder gespielt – und damit die Wahlen gewonnen. Umso stärker fordert sie hier nun Zugeständnisse und einen härteren Asylkurs. Mit guten Chancen auf ein Entgegenkommen von FDP und Mitte. Eine verschärfte Gangart im Asylbereich ist wahrscheinlich. Denkbar ist etwa, dass bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber mehr Druck kommt. Allenfalls auch beim Abbau von Asyl-Sozialleistungen.
Die Forderung nach Asyl-Transitzonen an der Grenze hingegen dürfte es weiterhin schwer haben. Ebenso die Rückkehr zu systematischen Grenzkontrollen, die die SVP als Abschreckungsmassnahme verlangt.
Die Zuwanderungsfrage hingegen wird mit der SVP-Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz an der Urne entschieden. Klar ist schon heute: An der Personenfreizügigkeit mit der EU werden weder FDP noch Mitte rütteln.
Wird das AKW-Verbot gelockert?
Beim Thema Klima und Energie dürfte mit der erstarkten SVP die AKW-Frage an Dynamik gewinnen. Bürgerliche Politiker um FDP-Nationalrat Marcel Dobler (43) und SVP-Nationalrat Christian Imark (41) haben eine AKW-Initiative lanciert, die auch neue Kernkraftwerke ermöglichen soll. Die nötigen Unterschriften sind offenbar beisammen, die Initiative dürfte demnächst eingereicht werden.
Dann beginnt das Feilschen. Gut möglich, dass SVP-Energieminister Albert Rösti (56) einen Gegenvorschlag vorlegt, der das Anliegen entschärft aufnimmt – auch wenn Rösti erst kürzlich in einem «NZZ»-Interview keine neue AKW-Debatte wollte.
Doch auch wenn mit Peter Hegglin (63) ein Mitte-Ständerat ebenfalls im Initiativkomitee sitzt, dürfte sich die Mitte-Partei hüten, neue AKW bedingungslos zu unterstützen. Schliesslich war es mit Doris Leuthard (60) eine CVP-Bundesrätin, die den Atomausstieg vor dem Volk durchbrachte.
Rentenreformen bleiben schwierig
In der Rentenfrage haben die Bürgerlichen den Schulterschluss bereits geschafft: Die AHV-Reform mit Frauenrentenalter 65 haben sie durchgebracht. Ebenso eine Pensionskassenreform gezimmert, für die sie gemeinsam hinstehen wollen, wenn die Vorlage kommendes Jahr vors Volk kommt. Zusammen werden sie zudem die Initiative der Gewerkschaften für eine 13. AHV-Rente bekämpfen.
Mehr zu den Wahlen 2023
Eigentlich sind sie sich auch einig, dass das Rentenalter an die Lebenserwartung angepasst werden müsste. Die Frage ist bloss: Wann, wie und zu welchem Preis? Nach dem nur knappen Ja zur AHV-Reform ist insbesondere die Mitte zurückhaltend. Die jungfreisinnige Renten-Initiative, die das Rentenalter automatisch der Lebenserwartung anpassen will, wird sie nicht unterstützen.
Stattdessen zielt Pfisters Partei auf einen AHV-Ausbau: Bei den Ehepaaren soll die Heiratsstrafe – also die Rentenplafonierung bei Verheirateten – fallen. Dafür hegt auch die SVP Sympathien. Die FDP hingegen wird hier kaum mitmachen – zu teuer.
Gemeinsam gegen SP-Prämien-Initiative
Es liegen unzählige Ideen auf dem Tisch, wie man den steigenden Gesundheitskosten Herr werden kann. Bloss gilt das Motto: «Sparen ja, aber nicht bei uns!» Die bürgerliche Zusammenarbeit beschränkt sich daher hauptsächlich auf den Abwehrkampf gegen die linke Prämienentlastungs-Initiative, die die Prämienlast auf zehn Prozent des Haushaltseinkommens begrenzen will. Ein vom Ständerat geprägter Gegenvorschlag soll der Linken Wind aus den Segeln nehmen.
Der Reformbedarf im Gesundheitswesen ist zwar gross. SVP und FDP tendieren zu Einschränkungen und weniger Leistungen. Die Mitte fordert eine Kostenbremse und möchte etwa Apotheker und Hausärzte stärken. Doch geht es um konkrete Kostensenkungsmassnahmen, scheiden sich die Geister auch bei den Bürgerlichen. Ein grosser Wurf steht aus.
Bei der EU bleiben die Fronten verhärtet
Nach den Wahlen könnte es schnell gehen. Aussenminister Ignazio Cassis (62) dürfte das Verhandlungsmandat mit der Europäischen Union bald präsentieren. Fraglich ist nur noch, ob er die Ersatzwahl von Bundesrat Alain Berset (52) abwartet, oder gleich loslegt. Dann müssen die Kantone und die aussenpolitische Kommission konsultiert werden, und die Verhandlungen können beginnen.
Doch auch im neuen Parlament bleiben die Fronten verhärtet. Die SVP dürfte ein Rahmenabkommen grundsätzlich ablehnen. Eine Kompromisslösung scheint undenkbar, besonders, wenn die EU bei offenen Fragen wie der Unionsbürgerrichtlinien stur bleibt.