«Erwartet wurde eine grüne Welle, es kam die grüne Flut» titelte Blick 2019 nach den eidgenössischen Wahlen. Vier Jahre später ist aus der Flut ein Rinnsal geworden. Die Grünen haben massiv verloren, die SVP hat zu alter Stärke zurückgefunden.
Man kann das einen Rechtsrutsch nennen. Treffender aber ist: Die Schweiz hat sich wieder eingepegelt. Dass die Grünen verlieren würden, war nach der historischen Klimawahl schon lange allen klar, vermutlich sogar den Grünen. Sie haben sich allerdings das Ausmass der Niederlage selbst zuzuschreiben – wer einen Erfolg wie 2019 nicht in Realpolitik ummünzt, darf sich nicht wundern, wenn die Wählerinnen und Wähler wieder zur SP-Liste greifen oder gleich ganz zu Hause bleiben.
Zurück zur Normalität
Aber: 2019 war die Ausnahme. 2023 hat die Schweiz zur Normalität zurückgefunden. Das Land zeigt sich nach diesen Wahlen als Hort der Stabilität, als Fels in der Brandung, die mit einer Pandemie, mit Kriegen und Terrorattentaten in den letzten Jahren, Monaten und Wochen besonders angsteinflössend ist.
Trotz all der Unsicherheit wählten die Schweizerinnen und Schweizer nicht radikal. Die Corona-Massnahmen-Kritiker von Mass-Voll, Aufrecht und so weiter haben keinen Stich gehabt, und auch die SVP kann ihr Rekordergebnis von 2015 nicht übertreffen.
Stabilität bedeutet das Wahlergebnis auch für die Zusammensetzung der Landesregierung, zumindest vorerst. Die Träume der Grünen auf einen Bundesratssitz haben sich am Sonntag in Luft aufgelöst (auch wenn diese das noch nicht begriffen haben). Die SP wird den Sitz von Alain Berset mit einem der ihren besetzen können, ist sie doch ganz klar zweitstärkste Partei. Selbst Ignazio Cassis muss sich kaum sorgen – signalisieren die anderen Parteien doch, keinen der amtierenden Bundesräte abzuwählen. Die Zauberformel-Diskussion wird kommen, aber noch nicht im Dezember.
Kleine Verschiebungen werden zu reden geben
Alles also wieder beim Alten? Nicht ganz: Kleinere Verschiebungen, etwa der Kampf um Platz 3 zwischen Mitte und FDP werden die Diskussionen in den kommenden Monaten prägen. Das neue Selbstbewusstsein der Mitte, die sich zu den Wahlsiegern zählen darf, wird sich sicher zeigen. Auch die SP-Führung kann gestärkt in die neue Legislatur gehen, konnte sie den Abwärtstrend der letzten Jahre zwar nicht umkehren, aber doch stoppen. Bitter ist der Wahlabend für die GLP. Sie verliert zwar nur wenige Wähler, aber einen Sitz mehr als die Grünen.
Etwas aber bleibt beim Alten: die Probleme, die die Schweiz lösen muss. Der Klimawandel ist nicht gestoppt, nur weil die Öko-Parteien die Wahlen verloren haben. Die steigenden Krankenkassenprämien lösen sich genauso wenig in Luft auf wie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die Sorge vieler Menschen, dass die Zuwanderung zu noch mehr Stau, noch mehr Wohnungsnot, noch mehr Kriminalität führt.
All diese drängenden Probleme werden die neuen und wiedergewählten Politiker angehen müssen. Die Hoffnung ist, dass sie das erfolgreicher tun als in den letzten vier Jahren.