Dieser Artikel wurde vor Bekanntwerden der Wahlpanne des Bundesamts für Statistik erstellt. (red.)
Mitte-Chef Gerhard Pfister (61) nutzte die Gunst der Stunde: «Dass die FDP vor genau 20 Jahren der Meinung war, dass meine Partei mit dem genau gleichen Wähleranteil, wie die FDP jetzt hat, nur noch Anspruch auf einen Sitz hat, darf man in den Geschichtsbüchern gerne einmal nachlesen», sagte er in der Präsidentenrunde im Schweizer Fernsehen SRF.
Natürlich parierte FDP-Chef Thierry Burkart (48), dass die SVP damals stark zugelegt und das mehrfach bestätigt habe. Doch Pfisters Drohung steht im Raum. Obwohl er zuvor zusicherte, seine Partei werde keinen amtierenden Bundesrat abwählen.
Zuschlagen, wenn die Chance da ist
Zuwarten und zuschlagen, wenn die Chance real ist, ist der Plan. Und vielleicht der Entstehung solch einer Chance etwas auf die Sprünge helfen. Mehr nicht. Ganz anders die Grünen, die von den Wählenden abgestraft wurden. Wohl auch für ihren Widerstand gegen die Solaroffensive in den Alpen.
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Noch benommen von ihrer klaren Niederlage glaubt die Parteispitze weiterhin, mit einer völlig aussichtslosen Bundesratskandidatur punkten zu können. Naheliegender wäre es, dass Grünen-Chef Balthasar Glättli (51) über seine eigene Zukunft an der Spitze der Grünen statt über einen grünen Bundesrat nachdenkt.
Pfister ist in einer weit komfortableren Lage: Die Mitte hat zugelegt und liegt beim Wähleranteil erstmals auf Augenhöhe mit der FDP. Die Mitte-Partei, die aus der BDP und der CVP hervorgegangen ist, kommt auf ein Nationalratsmandat mehr als die Freisinnigen.
Sieger bei Gleichstand
Pfister hat stets tief gestapelt und sich mit dem Resultat zufriedengegeben, das die CVP und die BDP 2019 addiert erreichten, also 13,8 Prozent. So ist er – und mit ihm seine Parteimitglieder – mit 14,6 Prozent höchst zufrieden.
Burkart, der erklärt hatte, die SP als zweitstärkste Partei ablösen zu wollen, muss mit Verlusten und einem Wähleranteil von ebenfalls 14,6 Prozent eine Niederlage einstecken. Die FDP liegt fast drei Prozentpunkte hinter den Sozialdemokraten.
Seit Elisabeth Baume-Schneider (59) für die SP in der Landesregierung sitzt, kann sich Ignazio Cassis (62) zwar freuen, dass er im Bundesrats-Ranking nicht mehr den letzten Platz belegt. Doch der Freisinnige weiss, dass sein Sitz in der Regierung weiterhin am stärksten wackelt. Er kann sich nicht auf seinem Bundesratssitz ausruhen.
Dann schlägt die Stunde der Mitte
FDP-Chef Burkart dürfte neidisch sein, wenn er auf die Partei rechts der eigenen schaut: SVP-Bundesrat Albert Rösti (56) ist drauf und dran, in Sachen Beliebtheit ein zweiter Adolf Ogi (81) zu werden. Und auch wenn Guy Parmelin (63) rein nichts täte – was viele von einem Wirtschaftsminister erwarten – traut ihm die Bevölkerung in Umfragen noch immer mehr zu als Cassis, der es den Leuten nie recht machen kann.
So wird die Bundesversammlung am 13. Dezember 2023 einen offiziellen Kandidaten vom SP-Ticket zum Bundesrat machen und die anderen Regierungsmitglieder wiederwählen. Doch Cassis, der vier Monate später seinen 63. Geburtstag feiert, bleibt nicht mehr ewig im Amt. Bei dessen Nachfolge schlägt die Stunde der Mitte-Partei.