Vor den Wahlen am Sonntag hatten sich diverse deutsche Zeitungen süffisant über Schweizer Politik enerviert. Berichte mit belächelnden bis bevormundenden Untertönen über die Demokratie der Eidgenossen hatten Titel wie «Verloren in der Mitte Europas» («Süddeutsche»), «Der ganz normale Rechtspopulismus» («FAZ») oder «Wo Angst vor Fremden schon Folklore ist» («Tagesspiegel»). Das Magazin «Focus» übernahm die Story vom «Tagesspiegel» und titelte noch bissiger: «Im radikalen, reichen Idyll zeigt die Schweiz ihr hässliches Gesicht.»
Entsprechend fallen die Analysen im grossen nördlichen Kanton über die Wahlergebnisse in der Schweiz aus. Vor dem Urnengang meinte die «FAZ» noch: «Die Schweizer SVP wird von rechten Parteien im Ausland bewundert und nachgeahmt, auch von der deutschen AfD.» Nach Vorliegen der Ergebnisse die simple Erklärung: «Ähnlich wie die AfD in Deutschland profitieren die Schweizer Rechtspopulisten aktuell von der neu angefachten Migrationsdebatte.»
«Dass die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber auch in der Schweiz deutlich gestiegen ist, gab der SVP kräftig Rückenwind», so die Zeitung. Insgesamt hätten jene Parteien zugelegt, die den Menschen Schutz versprochen hätten – also einerseits die SVP, welche die Schweizer vor Zuwanderern und Konkurrenten schützen wolle, und andererseits die Sozialdemokraten, die soziale Wohltaten verteilen wollten.
Schweiz verschliesse lieber die Augen
Die «Süddeutsche» urteilt: «Die Schweiz igelt sich ein.» Ob «Krieg in der Ukraine, Krieg in Nahost, Klimakrise … viele Wählerinnen und Wähler verschliessen da lieber die Augen: Sie stimmen für die SVP und hüllen sich wohlig in noch mehr Neutralität.»
«Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer», so der Wahlkommentar der Zeitung, «haben für eine Art Scheuklappen-Politik votiert: einfach Augen zu und weitermachen. Es ist nur fraglich, wie lange das noch funktionieren wird.»
«Mit Angst Wahlkampf betrieben»
Die SVP habe im Wahlkampf auf Verlustsorgen gesetzt, schreibt die «Welt»: «Sie hetzt gegen Ausländer, warnt vor einer Annäherung an die EU und mancher Vertreter sieht sich in einem Krieg um die Bewahrung der schweizerischen Kultur.»
Diese Partei, die «mit Angst Wahlkampf betrieben» und seit 1999 am meisten Sitze im Nationalrat habe, sei auch das Vorbild für die AfD, die in Deutschland derzeit kräftig zulegt.
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«Hau-den-Ausländer-Karte hat gezogen»
Deftig die Einschätzung der «Zeit»: «Die Hau-den-Ausländer-Karte hat gezogen.» Die Wahlgewinnerin SVP zeige dabei «keine klare Kante gegen alles Braune». Schon «in den vergangenen Jahren» habe die Partei «immer weniger Berührungsängste mit Verschwörungstheoretikern, Corona-Leugnern, mit Staatsverweigerern und Rechtsextremen» gezeigt. «Nicht nur rhetorisch, als ihre Parteikader die Schweiz in der Pandemie eine Diktatur nannten oder der Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel, der sich nicht mehr zur Wiederwahl als SVP-Nationalrat stellte, einen echten Diktator, Wladimir Putin, in seinem Magazin verteidigte.»
Nicht-SVP-Parteien zu «hausbacken»
Die anderen Parteien hätten zu «hausbacken» agiert, resümiert der Berliner «Tagesspiegel». «Im Vergleich zum offensiven Buhlen der SVP um Stimmen präsentierten sich die anderen Parteien gemässigt bis hausbacken. Die Sozialdemokraten warben für eine ‹soziale Schweiz›, sie verlangten mehr Kaufkraft. Die FDP setzte sich für Wettbewerb und gesunde Staatsfinanzen ein. Die Mitte wiederum stellte sich als Partei von Freiheit, Solidarität und Verantwortung dar. Die Grünen schliesslich setzten auf den Klassiker Klimaschutz und eine ‹glücklichere› Gesellschaft.»
Die SVP sei «im Schlafwagen zum Sieg gefahren», wird aus der «Luzerner Zeitung» zitiert – und das eingeholte Urteil des Schweizer Historikers Urs Altermatt (81): «Es war wohl der laueste Wahlkampf seit längerem.»