Auf einen Blick
- Streit über Schweizer Armee-Ausrichtung: Panzer vs. Cyber-Abwehr und Luftraum
- Experte Mantovani sieht keine Bedrohung durch russische Panzer in Mitteleuropa
- Panzeroffiziere reagieren wütend
Seit fast drei Jahren herrscht Krieg in Europa. Nun ist in Militärkreisen ein Streit über die künftige Ausrichtung der Schweizer Armee entbrannt. Diese sei nie fähig gewesen, die Gefahr aus dem Osten abzuwehren. Nicht einmal am Ende des Kalten Kriegs. Und erst recht nicht, seitdem sie zusammengespart worden ist. Für Strategieexperte Mauro Mantovani (61) ist das auch gar nicht nötig, wie der langjährige Dozent an der Militärakademie der ETH Zürich in einem Gastbeitrag in der «NZZ am Sonntag» ausführt.
Denn Mantovani ist überzeugt, dass Russland als derzeit einzige Bedrohung mit Panzern gar nicht bis nach Mitteleuropa vorstossen könnte. Er fordert daher mehr Realismus in der Verteidigungspolitik.
Der Fokus sei auf reale Bedrohungen auszurichten, wie den Schutz des Luftraums und die Abwehr von Cyber-Angriffen. Das Heer mit Panzern und Artillerie hat für Mantovani dagegen keine Priorität.
Umfassende Verteidigungsfähigkeit ohnehin illusorisch
Der Strategieexperte widerspricht damit Armeechef Thomas Süssli (58), der wegen knapper Mittel vor dem zwischenzeitlichen Ausfall des Heers gewarnt hatte. Für Mantovani dagegen ist eine umfassende Verteidigungsfähigkeit für einen militärisch autonomen Kleinstaat wie die Schweiz ohnehin illusorisch. Daher sei es nicht sinnvoll, sämtliche einstigen Fähigkeiten wiedererlangen zu wollen – Aussagen, die in Militärkreisen für Aufruhr sorgen.
Empört reagiert die Offiziersgesellschaft (OG) Panzer. Für sie sind Mantovanis Ansichten «realitätsfern und brandgefährlich». Moderne Konflikte fänden auf allen Ebenen statt, das zeige der Ukraine-Krieg.
Die Verteidigung der Schweiz müsse umfassend erfolgen, sind die Panzeroffiziere überzeugt: «Panzer und Infanterie sind in diesem Gesamtsystem unverzichtbar.» Sie spielten bei der Abwehr eines Gegners eine zentrale Rolle. Eine einseitige Fokussierung auf Luft- und Cyberabwehr hingegen gefährde die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit der Schweiz.
Angriff mit Bodentruppen wäre «absolut verheerend»
Während der frühere ETH-Dozent Mantovani nicht an russische Panzer am Bodensee glaubt, stellt die Offiziersgesellschaft ganz andere Überlegungen an: «Militärische Planung darf sich nicht an der wahrscheinlichsten, sondern muss sich an der gefährlichsten Bedrohung orientieren. Die Auswirkungen eines mechanisierten Angriffs auf die Schweiz wären absolut verheerend.»
Mantovani scheint in ein Wespennest gestochen zu haben. Die Offiziere nennen ihn gar einen «vermeintlichen Experten», denn er vernachlässige die Unvorhersehbarkeit geopolitischer Entwicklungen: «Woher weiss Mantovani, dass Russland auf absehbare Zeit die einzige Bedrohung für die Schweiz sein soll?» Eine einseitige Ausrichtung auf ein einzelnes Bedrohungsszenario würde das Land völlig unvorbereitet auf gravierende Veränderungen der Lage zurücklassen.
Für die Panzeroffiziere ist klar: Die Panzertruppen sind der zentrale Pfeiler der Gesamtverteidigungsstrategie. «Sie dürfen nicht durch kurzfristige einseitige Priorisierungen und Spar-Hauruckaktionen geopfert werden», betonen sie beschwörend.
Das «Finanzkabarett» im Parlament sei zu stoppen, der Aufbau der Armee jetzt dringend zu finanzieren. Wichtig zu erwähnen: Das Parlament hat erst im Dezember eine Aufstockung des Armeebudgets beschlossen.
Parlament will endlich Klarheit über Armee-Ausrichtung
Uneinigkeit herrscht nicht nur unter Experten. Aus finanziellen Gründen kam es in den vergangenen Monaten auch im Bundesrat immer wieder zu Unstimmigkeiten – gerade zwischen Verteidigungsministerin Viola Amherd (62) und Finanzministerin Karin Keller-Sutter (61).
Und auch das Parlament will endlich wissen, was Sache ist. Im Herbst forderte es vom Bundesrat ein Zielbild einer verteidigungsfähigen Armee. Mantovani unterstützt das. Für ihn sollte das Zielbild plausible Szenarien aufzeigen. Auch mögliche Aggressoren seien zu benennen. Aufgrund dessen seien die Mittel der Armee aufzuzeigen, die vorhanden oder aufzubauen seien. Und dieses Zielbild solle ein Preisschild erhalten.
Die Politik zäumt also das Pferd von hinten auf. Nach langem Hin und Her hat das Parlament im Dezember die Erhöhung des Armeebudgets beschlossen. Nun wird darüber gestritten, wie die Armee dereinst aufgestellt sein soll.