Auf einen Blick
- Winterstromlücke droht trotz Ausbau erneuerbarer Energien
- Gaskraftwerke oder längere AKW-Laufzeiten als mögliche Lösungen diskutiert
- Stromverbrauch könnte bis 2050 gegenüber heute um 50 Prozent steigen
Dieser Aufruf schlug Wellen: Werner Luginbühl (67), Präsident der Elektrizitätskommission, sagte 2022 in der «NZZ am Sonntag», es sei «sicher ratsam, genügend Kerzen im Haus zu haben. Und wer einen Holzofen hat, sollte sich mit genügend Brennholz eindecken.» Dies, um bei Stromabschaltungen im Winter gerüstet zu sein. Jetzt haben sich die Stimmen beruhigt.
Doch längerfristig könnte die Stromlücke im Winter grösser werden, warnt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Im Winter brauche es den Ausbau der Erneuerbaren, aber auch ergänzende Stromproduktion, heisst es in einer neuen Studie des Verbands. Das könnte bedeuten, dass zusätzliche Gaskraftwerke gebaut oder Atomkraftwerke länger laufen müssen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie viel Strom brauchen wir?
In der Studie rechnet der Verband damit, dass der Verbrauch bis 2050 gegenüber heute um rund 50 Prozent steigen wird, weil zum Beispiel mehr Elektroautos gefahren werden. Diese brauchen Strom. Gleichzeitig werden schon in den nächsten Jahren weitere Atomkraftwerke abgeschaltet. Die damit ausbleibende Stromproduktion muss kompensiert werden.
Wo soll der Strom herkommen?
Im vergangenen Jahr hat die Schweiz dem Stromgesetz zugestimmt. Dieses soll helfen, dass mehr Solarpanels auf die Dächer kommen und 16 Wasserkraftprojekte ausgebaut werden können. Dazu setzt das Gesetz verschiedene Ausbauziele. «Doch auch wenn die Ausbauziele im Stromgesetz erreicht werden, braucht es in den Wintermonaten ergänzende Stromproduktion», schreibt der VSE. Welche das sein könnte, hängt von der Politik ab.
Der Verband hofft auf mehr Windkraft. Diese würde nämlich besonders gut den Solarstrom ergänzen, da Windkraft vor allem im Winter mehr Strom liefert. Nur: Der Ausbau von Windkraft läuft sehr schleppend, gegen viele Projekte gibt es Widerstand in den betroffenen Gemeinden. Bislang stehen gerade mal 47 Windräder; um die Ziele des Stromgesetzes zu erreichen, müssten gemäss VSE-Szenario rund 500 Windräder gebaut werden. Das Stromgesetz selbst gibt keine Vorgaben, mit welcher Technologie der Ausbau erfolgen soll.
Dazu würde wohl auch die Windkraft allein nicht reichen. Um die noch verbleibende Lücke zu schliessen, werden im Szenario Gaskraftwerke eingesetzt. Diese müssten jedoch klimaneutral betrieben werden, um die Klimaziele zu erreichen.
Werden weniger Windräder gebaut als geplant, bräuchte es mehr Gaskraftwerke oder Stromimporte aus dem Ausland. Eine weitere Alternative wäre, dass die bestehenden Atomkraftwerke länger laufen. Ein Neubau von Kernkraftwerken wird in der Studie nicht angesprochen. «Wir sind überzeugt, dass es unrealistisch ist, dass bis 2050 neue Kernkraftwerke stehen», sagt VSE-Präsident Martin Schwab.
Droht eine Winterlücke?
«Die gute Nachricht ist: Im Sommer werden wir fast immer genügend Strom haben», so Schwab. Doch im Winter sieht es anders aus. «Wir sind überzeugt, dass es zusätzliche Winterkapazität braucht.» Ohne Reserven geht es also nicht. «Gaskraftwerke braucht es in allen Varianten.»
Die obigen Szenarien gehen davon aus, dass die Ziele aus dem Stromgesetz erreicht werden. Doch das ist alles andere als sicher. So gibt es zum Beispiel Widerstand gegen Wasserkraftprojekte, die im Gesetz stehen. Der Ständerat will darum nun die Einsprachemöglichkeiten gegen diese Projekte beschränken und gleichzeitig mit einem Beschleunigungserlass dafür sorgen, dass schneller gebaut werden kann. Doch der Widerstand aus Umweltschutzkreisen ist vorprogrammiert.
Somit ist unsicher, ob die Ziele erreicht werden. Das würde bedeuten, dass sich die Winterstromlücke verdoppeln würde. «Die Schweiz wäre auf grosse Strommengen aus Gaskraftwerken angewiesen», so der VSE. Je mehr davon nötig seien, desto schwieriger und teurer werde es, die Klimaziele zu erreichen. Eine weitere Alternative wäre, die beiden Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt bis 2050 laufen zu lassen. Dafür müssten sie allerdings sicher und wirtschaftlich sein. Alternativ müsste man mehr Strom aus dem Ausland importieren: «Dafür muss man aber noch jemanden finden, der exportieren will.»
Die Studie zeigt, dass mit dem geplanten Ausbau der Erneuerbaren trotzdem eine Winterlücke droht. Allerdings hat die Politik noch etwas Zeit, um Lösungen zu finden – nur muss das Volk diesen dann auch zustimmen. Sowohl Windkraft als auch die Gaskraftwerke oder längere AKW-Laufzeiten sind schliesslich nicht unumstritten.
Warum will der Verband einen EU-Deal?
Auch der Abschluss eines Stromabkommens mit der EU sei wichtig für die Versorgungssicherheit. Es werde günstiger, da es weniger Stromreserven brauche. Dazu werde es momentan für die nationale Netzgesellschaft Swissgrid immer schwieriger, das Netz stabil zu halten. Das würde sich ändern: «Mit einem Stromabkommen würde die Schweiz über viel mehr Kapazitäten für Importe und Exporte verfügen, was mehr Handelsmöglichkeiten für die Versorgung eröffnet und diese insgesamt resilienter macht.»
Das Stromabkommen ist nicht unumstritten. Denn die Schweiz muss dafür ihren Strommarkt öffnen. Auch Haushalte dürfen frei wählen, zu welchem Anbieter sie wechseln wollen – oder ob sie in der Grundversorgung bleiben wollen. Das Problem: Im freien Markt können die Preise rasch steigen – wie zuletzt passiert während des Kriegs in der Ukraine.
Angedacht ist, dass die Schweiz über das Abkommen separat von der Abstimmung über den restlichen EU-Deal abstimmen kann.
Warum haben wir im Sommer zu viel Strom?
Immer mehr Leute haben eine Solaranlage auf dem Dach. Diese produzieren insbesondere im Sommer viel Strom. Zu viel. Im Sommerhalbjahr werde es laut VSE Stromüberschüsse geben, die nicht vollständig verbraucht werden können. Darum brauche es mehr Speicher und Flexibilität bei der Produktion.