Auf einen Blick
- Der Stromkonzern Alpiq verlässt auf Ende Jahr den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse
- Hintergrund des Abgangs ist die unterschiedliche Positionierung in der AKW-Debatte
- Economiesuisse begrüsst die Aufhebung des Technologieverbots, Alpiq ist strikt gegen neue Kernkraftwerke
Es war ein Paukenschlag: Ende August gab Energieminister Albert Rösti (57) bekannt, dass der Bundesrat das Technologieverbot in der Energiepolitik aufheben will. Damit möchte die Landesregierung den Weg für neue Atomkraftwerke ebnen – sieben Jahre, nachdem das Schweizer Stimmvolk der Kernenergie an der Urne eine Absage erteilt hatte.
Die Ankündigung löste heftige Reaktionen aus. «AKW-Verbot kippen? Nicht mit uns!», meinen etwa die Grünen und sammeln bereits Unterschriften für ein Referendum.
Economiesuisse dagegen begrüsst die Entscheidung des Bundesrats. «Das Technologieverbot sollte aufgehoben und der Neubau von Kernkraftwerken erlaubt werden», schrieb der Wirtschaftsdachverband in einer Mitteilung.
Doch mit dieser Positionierung sind nicht alle Wirtschaftsvertreter einverstanden. Sogar die Strombranche selbst ist gespalten.
Insbesondere Alpiq – nach Axpo das zweitgrösste Stromunternehmen des Landes – will die AKW-freundliche Haltung von Economiesuisse nicht mittragen. Der 9-Milliarden-Franken-Konzern wird den Wirtschaftsdachverband deshalb auf Ende Jahr verlassen, wie Recherchen von Blick zeigen.
Fokussierung auf Verband für erneuerbare Energien
Alpiq bestätigt den Austritt. Ob das Ganze mit der Haltung von Economiesuisse zum Bau neuer AKW zusammenhängt, will das Unternehmen jedoch nicht öffentlich kommentieren. Eine Sprecherin lässt lediglich ausrichten: «Wir möchten uns stärker auf die Zusammenarbeit innerhalb der Fachverbände konzentrieren.»
Auf die Frage, welche Fachverbände das seien, schreibt der Konzern: «Alpiq ist zum Beispiel Mitglied und im Vorstand von AEE Suisse, Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz.»
Die Verschiebung der Prioritäten spricht Bände. AEE Suisse kritisiert die AKW-Wende des Bundesrats scharf. Gegenüber Blick sagt Kommunikationschef Simon Dalhäuser: «Die laufende Diskussion zur Energieversorgung der Schweiz, ausgelöst durch die Blackout-Initiative und den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats, schürt in der Energiebranche unnötig Verunsicherung und führt zu nichts.»
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Dalhäuser ruft in Erinnerung, dass sich das Stimmvolk am 9. Juni 2024 mit rund 70 Prozent Ja-Stimmen für die Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien aussprach. Damit habe die grosse Mehrheit der Schweiz die Transformation des Energiesystems ein drittes Mal bestätigt – nach Annahme der «Energiestrategie 2050» im Jahr 2017 und dem Ja zum «Klimagesetz» im Jahr 2023.
«Transformation in voller Fahrt»
Die vorgebrachten Argumente von Bundesrat Rösti und Economiesuisse, wonach sich die Situation seit 2017 massiv verändert habe – Stichworte Ukraine-Krieg und Energiekrise –, überzeugen AEE Suisse nicht. Der Verband ist überzeugt, dass die Energieversorgung in der Schweiz auch ohne neue AKW gesichert werden kann.
«Die Transformation des Energiesystems ist in voller Fahrt», sagt Dalhäuser. Jetzt sei «Leadership» gefordert, um diesen Wandel auf Kurs zu halten: «Die Energiebranche, aber auch alle Unternehmen, Investoren, Private und Gemeinden sowie die vielen Lernenden und Studierenden, die mit ihrer Ausbildung gestartet sind, brauchen jetzt Planungs- und Investitionssicherheit.» Die aktuelle Debatte bewirke das genaue Gegenteil.
Die Alpiq-Führung hatte sich in der Vergangenheit fast wortgleich geäussert. «Wir sollten unsere Energie besser für die anderen Diskussionen einsetzen als für Debatten um neue Kernkraftwerke», sagte Verwaltungsratspräsident Johannes Teyssen (64) 2022 in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Auch CEO Antje Kanngiesser (49) erteilte Gelüsten nach neuen AKW bereits mehrfach eine Absage. Vergangenen Frühling, vor der Abstimmung über das neue Stromgesetz, sagte sie zudem in einem Fernsehinterview, dass die Atomkraft nicht als alternative Energiequelle der Zukunft diene, weil auf der ganzen Welt «kein einziger Investor» mehr sein Geld für Atomkraftwerke hergebe, wenn nicht die öffentliche Hand das Risiko übernehme.
Welche Ziele verfolgt Axpo?
Angesichts dieser Aussagen ist es nur konsequent, dass sich Alpiq nun von Economiesuisse abwendet. Erklärungsbedürftig ist vielmehr, wieso andere Energieriesen wie Axpo und BKW dem Wirtschaftsverband die Stange halten. Deren Führungskräfte hatten in der Vergangenheit ebenfalls erklärt, dass sie in der Atomkraft keine Zukunft sähen.
Axpo-CEO Christoph Brand (55) sagte erst vor wenigen Monaten, dass sich der Bau neuer AKW finanziell nicht lohne für die Stromkonzerne. «Die Wirtschaftlichkeit neuer Kernkraftwerke heutiger Generation ist in der Schweiz nicht gegeben», hielt er in einem Interview mit der Branchenplattform Energate fest.
Jetzt ist aber zu vernehmen, dass Axpo – im Gegensatz zu Alpiq – die umstrittene Aufhebung des Technologieverbots begrüsst. Wie passt das zusammen?
Das Unternehmen sieht darin keinen Widerspruch. «Die Aufhebung des Neubauverbots bedeutet nicht, dass zwangsläufig neue Kernkraftwerke gebaut würden», sagt ein Sprecher. Es seien weiterhin viele Fragen offen. «Aus betriebswirtschaftlicher Sicht einer Investorin wie Axpo wären die finanziellen, regulatorischen und politischen Risiken Stand heute zu hoch.»
Economiesuisse bedauert Austritt
Die Formulierung kann wie folgt interpretiert werden: Die Axpo kann sich den Bau neuer Atomkraftwerke vorstellen – sofern die finanziellen Risiken, die damit verbunden sind, von der öffentlichen Hand getragen werden.
Economiesuisse ist deshalb überzeugt, dass ihre «Position für die Technologieoffenheit» breit getragen wird, sowohl von der Stromwirtschaft als auch von der Industrie. Den Austritt von Alpiq bedauert der Verband. Die Verantwortlichen betonen jedoch, dass man die Arbeit «zusammen mit Axpo und BKW» sowie der Industrie «mit Hochdruck» weiterführen werde.
Alexander Keberle, Leiter des Energiedossiers, hält fest: «Wir müssen unsere Stromproduktion bis 2050 mehr als verdoppeln, damit es der Schweiz langfristig gut geht und die Klimaziele erreichbar sind.» Dazu brauche es die enge Zusammenarbeit von Stromwirtschaft und den Stromkonsumenten, die man «fast alle» vertrete.
Für Economiesuisse ist der Eiertanz in der AKW-Debatte nichts Neues. Bereits 2017, als das Stimmvolk den Ausstieg aus Kernenergie beschloss, tat sich der Verband schwer mit dem Thema. Weil die Wirtschaft gespalten war, verzichtete man damals auf eine Abstimmungsparole – und erntete heftige Kritik.