Bundesrat will Gegenvorschlag zu Blackout-Initiative
Werden nun bald neue AKW gebaut?

Der Bundesrat sagt zwar Nein zur AKW-Initiative, will aber trotzdem ein neues Atomzeitalter einläuten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum brisanten Entscheid.
Publiziert: 28.08.2024 um 18:45 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2024 um 08:32 Uhr
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Die bürgerliche Blackout-Initiative fordert von der Schweiz Technologieoffenheit.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Bundesrat plant Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative
  • Die Initiative will das Neubauverbot für Kernkraftwerke kippen
  • Bis überhaupt eine neues AKW gebaut würde, dauert es 15 bis 20 Jahre
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Feiert die Kernkraft bald ihre Rückkehr? Der Bundesrat legt einen indirekten Gegenvorschlag für die bürgerliche Blackout-Initiative auf den Tisch. Noch in diesem Jahr soll Energieminister Albert Rösti (57) eine Gesetzesänderung erarbeiten, um die langfristige Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten.

Im März war die Blackout-Initiative zustande gekommen. Blick erklärt, was die Initiative und ihr Gegenvorschlag wollen und was sie der Stromversorgung der Schweiz bringen könnten.

Was will die Initiative?

2017 stimmte das Schweizer Stimmvolk für ein Neubauverbot für Kernkraftwerke. Die bestehenden AKW dürfen nur so lange weiterbetrieben werden, wie sie sicher sind. Die Blackout-Initiative will das Neubauverbot wieder kippen.

Dies fordert die Initiative aber nicht explizit. Der Initiativtext hält lediglich fest, dass die Stromproduktion umwelt- und klimaschonend sein muss. «Alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung sind zulässig», soll in die Verfassung geschrieben werden.

Wer steckt dahinter?

Lanciert wurde die Initiative vom Energie Club Schweiz (ECS), einer Allianz aus bürgerlichen Kreisen. Im Komitee sitzen Vertreterinnen und Vertreter von SVP, FDP, Mitte sowie verschiedener Wirtschaftsverbände.

Was sagen Gegnerinnen und Gegner?

Selbst einige beinharte Atom-Befürworter kritisieren die Initiative, weil die Atomkraft mit keinem Wort erwähnt wird. Das Nuklearforum Schweiz, das sich für eine friedliche Weiterentwicklung der Kernenergie einsetzt, unterstützt die Initiative deshalb nicht. Stattdessen fordert die Organisation «zielführende, konkrete Änderungen» im Kernenergiegesetz. Genau so, wie es der Bundesrat nun beabsichtigt.

Atom-Gegner, Klimaschutzorganisationen, Linksparteien sowie die Grünliberalen lehnen die Initiative aus grundsätzlicher Überzeugung ab. Die Atomenergie sei teuer und das Atommüll-Problem nach wie vor ungelöst. Zudem würden neue AKW sowieso zu spät kommen. Stattdessen soll der Bund voll auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzen.

Was will der Gegenvorschlag des Bundesrats?

Der Bundesrat unterstützt die grundsätzliche Stossrichtung der Initiative, nämlich die Streichung des Neubau-Verbots von AKW. Doch aus seiner Sicht braucht es dazu keine Verfassungsänderung, sondern es reicht, die Gesetze anzupassen. Die Landesregierung lehnt die Initiative auch deshalb ab, weil sie den allfälligen Betrieb von Reservekraftwerken während Strommangellagen infrage stellen könnte.

Wie realistisch sind neue AKW überhaupt in der Schweiz?

Für Energieexperte Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich, spricht wenig dafür, dass in der Schweiz in naher Zukunft ein neues AKW stehen wird. Zumal es auch mit der Annahme der Vorlage dennoch 15 bis 20 Jahre dauern würde, bis eines gebaut würde. «Bis dahin müssten wir eigentlich unsere Stromversorgung bereits in Griff bekommen haben», sagt Schaffner. Heisst: Der Ausbau der heimischen Erneuerbaren muss stattfinden und die Anbindung an das internationale Netz weiter funktionieren.

Dadurch würde sogenannte Bandenergie, also konstant produzierter Strom wie bei der Kernenergie, wirtschaftlich an Wert verlieren. Denn in Zeiten, in denen Wind- und Solaranlagen ihre maximale Kapazität produzieren können, kann ein AKW den verfügbaren Strom nicht gut verkaufen. «Es werden dann Kosten verursacht für Strom, den niemand braucht», sagt Schaffner.

Was würden dann Initiative oder Gegenvorschlag ändern?

«Die Frage ist, ob wir unsere Stromversorgung bis 2040 in den Griff kriegen», sagt Andreas Pautz, Professor für Nuklearingenieurwesen an der ETH Lausanne. Es dauere noch mindestens ein Jahrzehnt, bis klar werde, ob die für die Energiewende nötigen Stromspeicher überhaupt wirtschaftlich umsetzbar sind. «Wir haben auf beiden Seiten ein Zeitproblem», sagt Pautz.

Bewähren sich also Speichertechnologien wie etwa Wasserstoff oder Power-to-X nicht, könnten plötzlich wieder AKW zum Zug kommen – sofern sie gebaut werden dürfen. Die Blackout-Initiative oder der Gegenvorschlag des Bundes würden die Schweiz auf diese Eventualität vorbereiten. Bis dahin könnten laut Pautz sogenannte modulare Kleinreaktoren (Small Modular Reactors) marktreif sein und die Investitionskosten der Kernenergie senken.

Da die nächsten Jahre Wind- und Solarenergie einen höheren Wert bieten, zeigen die Stromkonzerne momentan wenig Interesse an neuen Atomreaktoren. Jedenfalls, solange der Bund sie nicht subventioniert. Energieminister Rösti gab sich diesbezüglich bedeckt – im Wissen darum, dass das der grosse Knackpunkt werden dürfte.

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