Auf einen Blick
Der Bundesrat lehnt die Volksinitiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» ab.
Stattdessen plant er, noch in diesem Jahr einen Gegenvorschlag zu erarbeiten, um die langfristige Energieversorgung zu sichern.
Der Bundesrat möchte darin offen für verschiedene Technologien bleiben. Das Verbot, neue Kernkraftwerke zu bauen, passe nicht zu diesem Ansatz.
Seit sieben Jahren gilt in der Schweiz: Keine neuen Atomkraftwerke! Das Volk hatte 2017 den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Heute dürfen die alten Meiler laufen, solange sie sicher sind. Im Februar reichte ein bürgerliches Komitee die Blackout-Initiative ein. Sie verlangt, dass die Stromversorgung jederzeit sichergestellt sein und dass Strom umwelt- und klimaschonend produziert werden muss. Dabei sollen «alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung zulässig» sein. Eben auch die Kernenergie.
Nun bläst auch der Bundesrat zum Angriff auf das Verbot für den Bau neuer AKW. Am Mittwoch kündigte er an, eine indirekte Gegenvorlage erarbeiten zu wollen, die dieses Verbot kippen könnte. Damit reagiert der Bundesrat auf die Blackout-Initiative. Diese lehnt er ab. Er glaubt, dass er mit einer flexibleren Lösung besser auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren kann.
«Grundlegender Wandel stattgefunden»
In seinem «Richtungsentscheid» vom Mittwoch macht der Bundesrat klar: Das Bauverbot passt nicht mehr in die heutige Zeit. «Es hat ein grundlegender Wandel stattgefunden, seit die Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen habe», erklärte Energieminister Albert Rösti (57, SVP) in Bern.
Dafür gebe es laut dem Energieminister fünf Gründe:
- Damals sei ein vollständiger Ausstieg aus fossilen Energien noch kein Thema gewesen.
- Ebenfalls sei man davon ausgegangen, dass fehlender Strom im Winter durch Gaskraftwerke gedeckt werden könnte, was heute aufgrund des Netto-Null-Ziels kaum noch möglich sei.
- Zudem habe sich die geopolitische Lage in Europa verschärft, wodurch die Stromversorgung im Winter unsicherer geworden sei.
- Nicht zuletzt sei das Bevölkerungswachstum schneller verlaufen als erwartet.
- Und der Bau erneuerbarer Energieanlagen gestalte sich wegen Einsprüchen langsamer und teurer als ursprünglich geplant.
«Schweiz braucht alle Energieträger»
Zwar betonte Rösti, dass das Volk kürzlich mit der Zustimmung zum Stromgesetz deutlich gemacht habe, dass der Ausbau von Solar-, Wind- und Biogasanlagen sowie der Wasserkraft gewünscht sei.
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Er hält es jedoch für «unsinnig», die verschiedenen Energiequellen gegeneinander auszuspielen. «Die Schweiz benötigt alle Energieträger, um ausreichend Energie zu erzeugen», so Rösti. Bis Ende 2024 soll das Uvek die Änderungen am Kernenergiegesetz ausarbeiten, danach geht es in die Vernehmlassung.
SVP und FDP wollen Verbot bodigen
Der Rösti-Plan sorgt bereits jetzt für heftige Reaktionen. SP, Grüne und GLP lehnen die Aufhebung des Neubauverbots ab. «Dieser Entscheid für ein Atomsubventionsgesetz läuft dem Volkswillen bezüglich Energie- und Klimapolitik der Schweiz komplett zuwider», schimpft SP-Nationalrat Roger Nordmann (51, VD).
SVP und FDP hingegen wollen das Verbot bodigen. «Der Strombedarf steigt stärker als prognostiziert», so SVP-Nationalrat Christian Imark (42, SO). «Ohne Aufhebung des Technologieverbots schaffen wir die Dekarbonisierung nicht.» FDP und SVP kommen im Nationalrat auf 95 von 200 Stimmen. Das links-grüne Lager auf 74.
Mitte entscheidend
Entscheidend werden damit die 31 Stimmen der Mitte-Fraktion. Ihre frühere Bundesrätin Doris Leuthard (61) hat den Atomausstieg mit ihrer Energiestrategie 2050 einst aufgegleist. Bisher scheiterten Vorstösse aus den Reihen von SVP und FDP gegen das AKW-Verbot relativ deutlich.
Trotzdem wittern die Nuklear-Freunde Morgenluft. Ein geschickt formulierter Gegenvorschlag könnte für Bewegung sorgen, hoffen sie. Die Mitte dürfte mehrheitlich am bisherigen Kurs festhalten – doch eben, es gibt auch Mitte-Politiker, die Sympathien für einen Gegenvorschlag zeigen. «Ich werde einen Gegenvorschlag sicher nicht ablehnen», sagte Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner (52, AI) jüngst zu Blick. Auch die Ständeräte Peter Hegglin (63, ZG) und Fabio Regazzi (62, TI) positionieren sich offen gegen das Neubauverbot.
Allerdings gibt es auch in der FDP eine Handvoll Abweichler, die keine neuen AKW wollen. Für Rösti bleibt die Hürde damit hoch.