Das Verdikt war deutlich: Mit fast 70 Prozent Ja-Stimmen hat die Schweiz am 9. Juni das neue Stromgesetz angenommen. Dank diesem soll mehr erneuerbare Energie zugebaut werden können. Die Ziele sind ambitioniert: Bis 2035 sollen ohne Wasserkraft 35 TWh Strom aus erneuerbaren Quellen produziert werden. Ende 2023 waren es erst 6,8 TWh.
Um das Ausbauziel zu erreichen, müsste die Schweiz also jährlich 2,4 TWh erneuerbaren Strom durch Sonnen- und Windenergie zubauen, das entspricht ungefähr der Leistung des grössten Schweizer Wasserkraftwerks Grande Dixence. Zum Vergleich: 2023 wurde lediglich rund 0,8 TWh zusätzlicher erneuerbarer Strom produziert. «Wir starten bereits mit einem beträchtlichen Rückstand», warnt deshalb Alexander Keberle (32), Leiter Umwelt, Energie und Infrastruktur bei Economiesuisse.
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«Politik hat das Gefühl, die Arbeit sei getan»
Er zweifelt, ob sich daran so schnell etwas ändern wird. «Leider stellen wir in der Politik eine Energiemüdigkeit fest: Das Stromgesetz war ein Chnorz, und man hat das Gefühl, die Arbeit sei damit getan. Dabei geht sie mit der Umsetzung jetzt erst los», so Keberle. Der Wirtschaftsdachverband fordert vom Bundesrat deshalb eine strenge Kontrolle bei der Umsetzung des Stromgesetzes. Economiesuisse nennt ein solches Monitoring «Grande-Dixence-Index».
Zeige sich, dass die im Gesetz verankerten Ziele nicht erreicht werden, müsste die Politik weitere Massnahmen ergreifen. Das Monitoring müsste laut Economiesuisse nicht nur den tatsächlichen Zubau berücksichtigen, sondern auch grössere Projekte in der Pipeline, damit Prognosen für die nächsten fünf bis zehn Jahre möglich sind.
Mit der Forderung nach einer transparenten Kontrolle übernehme der Wirtschaftsdachverband laut Keberle «die mühsame Rolle, das Thema im Bewusstsein zu halten, da unsere Unternehmen stark betroffen sind – das Gleiche müssten die Konsumentenschützer für die Haushalte eigentlich auch tun».
Strompreise: die neuen Krankenkassenprämien?
Damit es vorwärtsgeht, müssten in der Politik endlich rote Linien fallen gelassen werden, fordert Keberle. Er zeigt dabei nicht auf ein bestimmtes Lager, sondern auf alle: Rechts-bürgerlich könnte sich geschlossen hinter das EU-Stromabkommen stellen, das politische Zentrum Technologieverbote überdenken – Stichwort Kernkraft – und Links-Grün müsste aufhören, zusammen mit Umweltverbänden die Erneuerbaren auszubremsen, die man eigentlich bauen wollte.
Economiesuisse macht sich längerfristig weniger Sorgen um eine Mangellage oder gar ein Blackout, sondern um die Energiepreise für Unternehmen und Haushalte. «Machen wir nicht vorwärts, diskutieren wir 2050 vielleicht über die Strompreise, wie wir es heute über die Krankenkassenprämien tun», befürchtet Keberle.
Dass der Wirtschaftsdachverband mit einem Monitoring den Boden bereiten will für mögliche weitere Massnahmen im Energiebereich, passt ins Bild: Economiesuisse hatte bereits einen Tag nach Annahme des neuen Stromgesetzes zusammen mit bürgerlichen Kräften gefordert, dass der Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig gemacht werden müsse – das Stromgesetz sei erst der erste wichtige Schritt in die Zukunft der Energiepolitik.
Bund will kein separates Monitoring
Keberle sagt zwar, dass man die Forderung nach einem «Grande-Dixence-Index» bewusst technologieoffen halte. «Wenn wir die Ziele mit Wind- und Solarenergie erreichen, umso besser. Aber die Sorge ist derzeit gross, dass der Rückstand nur noch grösser wird.»
Beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wird auf Anfrage auf das bereits bestehende Monitoring zur Energiestrategie 2050 verwiesen. Die zusätzlichen Bestimmungen aus dem Stromgesetz würden nach Inkrafttreten in dieses integriert. Das Monitoring sieht eine periodische Überprüfung der Wirksamkeit von Massnahmen durch das Bundesamt für Energie vor. Der Bundesrat erstattet dem Parlament zudem alle fünf Jahre Bericht.