Kernschmelze im Bundesrat: Die Aufhebung des AKW-Neubauverbots sorgte in der Landesregierung für mächtig Ärger. SVP-Energieminister Albert Rösti (57) setzte durch, dass der «Blackout stoppen»-Initiative ein indirekter Gegenvorschlag entgegengestellt wird. Flankiert von seinem Parteikollegen Guy Parmelin (64) und den beiden FDP-Bundesräten Karin Keller-Sutter (60) und Ignazio Cassis (63).
Damit bootete das Rechtsquartett das Mitte-Links-Trio im Bundesrat aus. Mitte-Verteidigungsministerin Viola Amherd (62) sowie die beiden SP-Magistraten Elisabeth Baume-Schneider (60) und Beat Jans (60) wehrten sich vehement gegen die Rösti-Pläne und beantragten eine Ablehnung der Initiative ohne Gegenvorschlag.
«Übereilt, nicht ausgereift, einseitig»
Schon im Vorfeld teilte Amherd kräftig gegen Atomminister Rösti aus, wie verwaltungsinterne Dokumente belegen, die Blick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz vorliegen. «Aus unserer Sicht besteht kein Grund, übereilt die Aufhebung des Verbots neuer Kernkraftwerke zu beantragen», beschied ihr Generalsekretariat in der Ämterkonsultation. Kein gutes Haar liess sie dabei am vorgelegten Aussprachepapier-Entwurf: Röstis Auslegeordnung sei «nicht ausgereift und stellt die komplexe Sachlage nur sehr einseitig dar».
Und es wies auf Widersprüche hin. So hielt Röstis Bundesamt für Energie im Papier fest, dass es «höchst ungewiss» sei, ob der wegfallende Atomstrom durch erneuerbare Energien kompensiert werden könne. Um gleichzeitig festzuhalten: «Können die entsprechenden Projekte in genügendem Ausmass umgesetzt werden, ist eine solche Kompensation nicht völlig abwegig.» In den Unterlagen fehle eine Würdigung des bisher erreichten Erneuerbaren-Zubaus, so das Verteidigungsministerium.
Widerstand von SP-Bundesräten
Amherd blieb mit ihrer Kritik nicht allein, auch die SP-Bundesräte markierten Widerstand. «Mit einem indirekten Gegenvorschlag setzt der Bundesrat ein falsches Signal und weckt falsche Hoffnungen», urteilte Jans' Generalsekretariat. Damit verringere Rösti den Druck zum Ausbau der erneuerbaren Energien und erhöhe die Unsicherheit bei Investitionen in erneuerbare Energien. «Da ein rechtzeitiger Bau eines neuen Kernkraftwerks nicht realistisch ist, ist eine Bremsung des Ausbaus erneuerbarer Energien erst recht fatal.»
Gesundheitsministerin Baume-Schneider warnte vor den mit der Atomkraft verbundenen Umwelt- und Kostenrisiken. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine machte sie zudem deutlich, dass Atomkraftwerke im Konfliktfall oder als Ziel von Terroranschlägen ein hohes Risiko darstellen würden.
Abweichler im Parlament
Im Bundesrat flogen jedenfalls die Fetzen. Als Rösti das Geschäft Mitte August in den Bundesrat brachte, war eine Medienkonferenz bereits geplant. Doch seine Gspänli pfiffen ihn zurück mit dem Auftrag, noch einige offene Fragen zu klären. Zwei Wochen später setze sich der SVP-Mann im Atomstreit dann doch durch.
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Bis Ende Jahr muss er nun eine Vorlage in die Vernehmlassung geben. Widerstand im Parlament ist programmiert. Und dort fehlt dem im Bundesrat siegreichen SVP/FDP-Block eine Mehrheit. SP, Grüne und GLP halten geschlossen am AKW-Neubauverbot fest. Und die Mitte wird den von ihrer früheren Bundesrätin Doris Leuthard (61) aufgegleisten Atomausstieg mehrheitlich verteidigen. Abweichler auf beiden Seiten könnten aber für eine knappe Entscheidung sorgen. Doch egal, ob Initiative oder Gegenvorschlag, am Schluss richtet im Atomstreit das Stimmvolk.