Im Aargau wird an Mini-Reaktoren geforscht – Kernschmelze wäre nicht möglich
Sehen so die neuen AKW aus?

Der Bundesrat will den Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig machen. Dabei wird schon jetzt in der Schweiz an neuen Mini-AKW getüftelt. In wenigen Jahren könnte ein Reaktor im Aargau den Testbetrieb aufnehmen.
Publiziert: 29.08.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2024 um 08:03 Uhr
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So könnten die neuen Mini-AKW aussehen.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • In Villigen AG wird an neuen Kernkraftwerken geforscht
  • Die Technologie basiert auf sichereren Salzschmelzereaktoren
  • 30 Module könnten so viel Strom wie Leibstadt AKW liefern
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

In Villigen AG wird am Traum von Energieminister Albert Rösti (57) geforscht. In der Schweiz sollen wieder neue Kernkraftwerke gebaut werden können. Der Bundesrat stellt sich hinter Röstis Plan und will das Neubauverbot aus dem Gesetz streichen.

Forscher Andreas Pautz ist Nuklearprofessor an der ETH Lausanne und leitet das Center für Nukleartechnologien und -wissenschaften des Paul-Scherrer-Instituts (PSI). Schon einige Wochen vor dem Entscheid des Bundesrats sorgte das Institut mit einer Kooperation für Aufsehen. 

Zusammen mit dem dänischen Startup Copenhagen Atomics will das grösste Schweizer Forschungsinstitut für Natur- und Ingenieurwissenschaften erreichen, dass in Villigen AG ein kleiner modularer Atomreaktor entsteht. Es soll eine Versuchsanlage für neue Kernkraftwerke der vierten Generation werden, die als sicher, umweltfreundlicher und günstiger gelten. «Wir wollen zeigen, dass man solche Reaktoren sicher und nachhaltig betreiben kann.»

Ein AKW, so gross wie ein Schiffscontainer

Momentan arbeiten die Forscher daran, die Sicherheitsnachweise zu erbringen, die es für die Genehmigung braucht. Wenn alles klappt, wird in drei bis vier Jahren am PSI ein Testmodul für ein Mini-AKW aufgestellt, etwa so gross wie ein Schiffscontainer. 

Beim Test wird kein Strom produziert und die Leistung des Forschungsreaktors auf weniger als ein Hundertstel seiner Maximalleistung reduziert.

Dies ist bereits heute erlaubt – die Sicherheitsauflagen für eine solche Anlage sind aber extrem streng. Pautz und sein Team müssen ein aufwendiges Genehmigungsverfahren mit Computersimulationen, Sicherheitsberichten und Inspektionen vor Ort durchlaufen. So wird sichergestellt, dass selbst bei extremen Ereignissen wie Erdbeben oder Flugzeugabstürzen keine Radioaktivität aus der Anlage entweichen kann. 

Kernschmelze nicht mehr möglich

Auch der Testreaktor wird mit Uran gefüttert. Die neue Technologie sei in vieler Hinsicht sicherer als herkömmliche Kernkraftwerke, sagt der AKW-Forscher. «Der Brennstoff liegt als Teil einer Salzmischung vor. Diese wird im Betrieb flüssig und produziert Wärme, die dann in Strom umgewandelt werden kann.» Eine Kernschmelze sei nicht mehr möglich. «Tatsächlich würden solche Salze eher einfrieren», so Pautz.

Brennstäbe und Wasserbecken wird man bei den neuen AKW nicht mehr sehen, erste Visualisierungen von Copenhagen Atomics erinnern eher an ein Industriegebiet. Klappen die Tests und werden die Genehmigungen erteilt, könnten 30 solcher Module so viel Strom liefern wie das grösste AKW der Schweiz in Leibstadt AG.

«Eigentlich ist die Salzschmelze-Technologie nicht neu. Erste erfolgreiche Versuche gab es bereits in den 60er-Jahren in den USA», sagt Pautz. Doch die Forschung daran wurde damals eingestellt. «Rückblickend wohl ein falscher Entscheid», so der Forscher. Wenn das PSI den Testreaktor tatsächlich im Aargau aufstellen darf, sei das ein «Riesenschritt». Es gebe zwar in Nordamerika und Europa mehrere Firmen, die am Salzschmelzekonzept arbeiten, aber keine laufenden Testanlagen. Nur in China hat dieses Jahr ein kleiner Versuchsreaktor die Betriebserlaubnis erhalten.

Kosten unbekannt

Die Anlage soll auch weniger radioaktiven Abfall produzieren. «Die Technologie hat den Vorteil, dass sie im Betrieb gleichzeitig neuen Brennstoff erzeugen kann. Das spart Ressourcen und bedeutet dementsprechend weniger Abfall», erklärt Pautz.

Bereits sechs Ingenieure hat der Wissenschaftler für das Forschungsvorhaben angeheuert. Die Kosten trägt das dänische Startup vollständig, verspricht er. Um wie viel es sich handelt, will Copenhagen Atomic nicht verraten. Das Ziel der Firma ist es, die Reaktoren selbst zu bauen und zu finanzieren – unabhängig von Staaten. Mit langfristigen Verträgen wolle man dann die Energie verkaufen. 

Vorerst steht jedoch das Bewilligungsverfahren an, das zwei bis drei Jahre dauern dürfte, schätzt Pautz. Danach beginnen die Tests – vorerst ohne Uran, später dann auch mit dem radioaktiven Brennstoff. Dazu wird weiterhin die Sicherheit geprüft. «Auf dem internationalen Markt könnten die modularen Reaktoren von Copenhagen Atomics ab 2035 kommerziell verfügbar sein – wenn alles gut läuft.»

Das dänische Startup ist etwas forscher. «Wir gehen davon aus, dass wir bis zum Jahr 2030 kommerzielle Kraftwerke liefern werden», schreiben sie auf Blick-Anfrage. In den 2030er-Jahren wolle man zudem eine Fliessbandfabrik eröffnen. Das Ziel: einen Reaktor pro Tag zu bauen.


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