Auf einen Blick
- CDU-Wahlsieg: Friedrich Merz könnte neuer Bundeskanzler werden
- Merz kennt die Schweiz gut und sass im Verwaltungsrat von Stadler Rail
- Mitte-Pfister: «In der Asylpolitik kann Merz von uns lernen»
- SP-Guldimann: «Merz wird im besten Fall etwas freundlicher auftreten, in der Substanz wird sich aber nicht viel ändern»
In Deutschland kommt es zum Machtwechsel. Nach dem Wahlsieg der CDU muss SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz (66) sein Büro räumen. Der neue starke Mann in Berlin heisst Friedrich Merz (69). Er dürfte schon bald zum neuen Bundeskanzler gekürt werden. Darf die Schweiz nun auf bessere Beziehungen hoffen?
Bei der Regierung Scholz stand die Schweiz jedenfalls nicht hoch im Kurs. Das Verhältnis war unterkühlt. Immer wieder gerieten Deutschland und die Schweiz aneinander. So durfte Deutschland in der Schweiz gekaufte Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard nicht an die Ukraine liefern, was beim nördlichen Nachbarn für Unmut sorgte. Auch 25 ausgemusterte Leopard-2-Panzer wurden erst nach langem Hin und Herr nach Deutschland geliefert – unter der Bedingung, dass diese nicht in der Ukraine landen. Die Folge: Die deutsche Bundeswehr will Schweizer Waffenhändler für bestimmte Beschaffungen künftig meiden.
Unstimmigkeiten wegen Grenzkontrollen
Auch die Migrationspolitik sorgte für Unstimmigkeiten. Aus Berlin kam der Vorwurf, die Schweiz winke illegale Migranten einfach nach Deutschland durch. Im Oktober 2023 hat unser Nachbar deshalb ein härteres Regime eingeführt. Seither werden verstärkt Grenzkontrollen zur Schweiz durchgeführt – eine einseitige Massnahme, die jüngst bis zum 15. September verlängert wurde.
Migrationsminister Beat Jans (60) drückte gegenüber der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (54) mehrfach den bundesrätlichen Missmut über die Verschärfung aus und plädierte für offene Grenzen im Schengenraum. Und auch bei den Verhandlungen mit der EU über einen neuen Deal durfte die Schweiz auf weniger Support des Nachbarn rechnen als noch unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (70).
Verbindungen in die Schweiz
Weht mit Merz bald schon ein sanfterer Wind? Im CDU-Wahlprogramm kommt die Schweiz nur einmal vor, dafür in positivem Sinn. Die Merz-Partei möchte die Partnerschaften und Kooperationen mit Nachbarstaaten nämlich stärken. «Das gilt insbesondere für die Länder des Europäischen Wirtschaftsraumes, Norwegen, Island und Liechtenstein sowie für unseren Nachbarn Schweiz», heisst es dazu.
Merz selbst hat verschiedene Anknüpfungspunkte in die Schweiz. In den letzten Jahrzehnten war er immer wieder zu Besuch – etwa in seiner Zeit als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion oder verschiedentlich für Vorträge.
Sein wichtigster Schweiz-Bezug: Von 2006 bis 2020 sass er im Verwaltungsrat von Stadler Rail mit Sitz in Bussnang TG. «Merz kennt die Schweiz gut, war oft hier», sagte Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler (66) letztes Jahr gegenüber CH Media. «Vor allem hat er unseren direktdemokratischen Prozess sehr gut kennengelernt.»
«Merz ist der Schweiz definitiv näher als Scholz»
Mitte-Präsident Gerhard Pfister (62) traf den CDU-Chef mehrmals, etwa an Versammlungen der Europäischen Volkspartei. «Allerdings kenne ich ihn persönlich nicht sehr gut», räumt Pfister ein. Trotzdem hat er von Merz ein klares Bild. «Er ist authentisch, zielgerichtet und hat einen klaren Führungsanspruch», so Pfister. Zudem verfüge er über eine grosse Vitalität. «Man sieht Merz sein Alter definitiv nicht an.» Der CDU-Chef wird im November 70.
«Merz ist der Schweiz definitiv näher und kennt unser Land besser als Scholz», ist Pfister überzeugt. Und er stehe unserem Land auch näher als Merkel. «Er kommt aus der klassischen Nachkriegs-CDU mit republikanischer Tradition und hat Sympathien für unser Land, das ist sicher ein Vorteil.» Der Zugang von Schweizer Politikern ins Bundeskanzleramt werde mit ihm einfacher.
Pfister geht davon aus, dass Merz die guten Beziehungen zur Schweiz intensivieren wird. Was den EU-Deal betrifft, könne die Schweiz aber nicht auf Support für zusätzliche Ausnahmen hoffen. «Merz ist ein überzeugter Europäer und wird sich nicht in die EU-Kompetenzen einmischen.»
Auch die von Merz angestrebte härtere Migrationspolitik bereitet Pfister keine Sorgen. «In der Asylpolitik kann Merz sogar von uns lernen, wie man die Verfahren beschleunigt und Rückführungen vorantreibt – hier stehen wir deutlich besser da», so der Mitte-Chef. Kommt hinzu, dass sich nun auch der Bundesrat bereit zeigt, die Landesgrenzen kurz- und mittelfristig intensiver zu kontrollieren.
Unter dem Strich sei die Agenda des Bundeskanzlers mit schwerwiegenderen Problemen gefüllt, als dass es mit der Schweiz gross zu Konflikten kommen dürfte. Pfister hofft, dass Merz die kriselnde deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine bringt. «Davon würde auch die Schweiz profitieren.»
«In der Substanz wird sich nicht viel ändern»
Der frühere Schweizer Botschafter in Berlin Tim Guldimann (74) glaubt nicht, dass sich im Verhältnis zwischen den beiden Ländern gross etwas ändern wird. «Dass die Schweiz in irgendeiner Form Priorität geniesst, ist eine Illusion», so der ehemalige SP-Nationalrat, der immer noch in Berlin lebt. «Merz wird im besten Fall etwas freundlicher auftreten, in der Substanz wird sich aber nicht viel ändern.»
Angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaft, Migration, Ukraine-Krieg und Klima habe Merz ganz andere, immense Probleme zu meistern, so Guldimann. «Da interessiert ihn unser Befinden schlichtweg nicht. Für ihn sind Staaten wie Estland oder Kroatien wichtiger, da diese in der EU sind.» Allenfalls dürfte Merz aber bei den der Schweiz gegenüber kritischen Staaten ein gutes Wort einlegen, wenn es um die Absegnung des EU-Deals geht. «Nicht aus Rücksicht auf die Schweiz, sondern weil der süddeutsche Wirtschaftsraum ein Interesse daran hat.»
Allerdings könnte die Schweiz doch noch ins Visier von Merz geraten. «Dass über den russischen Rohstoffhandel riesige Summen über die Schweiz fliessen und die Russland-Sanktionen schwächen, stösst auf wenig Verständnis», sagt Guldimann. «Das könnte der Schweiz irgendwann noch um die Ohren fliegen.»