Auf einen Blick
- Deutsche Kanzlerkandidaten liefern sich bei TV-Debatte heftigen Schlagabtausch
- Zentrale Themen: Migration, Steuern, Wirtschafts- und Finanzpolitik
- Olaf Scholz und Friedrich Merz verbitten sich US-Einmischung in deutschen Wahlkampf
- Umfrage: Merz mit 32 Prozent vor Scholz (25 Prozent), Habeck und Weidel (je 18 Prozent)
Eine Woche vor der Bundestagswahl haben sich erstmals die vier Kanzlerkandidaten von SPD, Union, Grünen und AfD in einer TV-Runde einen heftigen Schlagabtausch zu zentralen politischen Fragen geliefert. In der Viererrunde von RTL traten die konträren Positionen etwa zur Migration, zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, zum Ukraine-Krieg oder zur Rentenpolitik zutage.
Bundeskanzler Olaf Scholz (66) machte deutlich, dass er die irreguläre Zuwanderung nach Deutschland weiter reduzieren will. «Wir bleiben dran und müssen auch dranbleiben.» Scholz sagte, dass die Zahl der Abschiebungen seit Beginn seiner Amtszeit um 70 Prozent gestiegen sei.
Merz fordert Gespräche mit den Taliban
CDU-Chef Friedrich Merz (69) konterte, dass zurzeit in vier Tagen so viele neue Flüchtlinge nach Deutschland kämen wie im Monat abgeschoben werden. Er forderte die Bundesregierung auf, Gespräche mit den Taliban in Afghanistan über die Rückführung von Flüchtlingen aufzunehmen.
Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck (55) betonte, dass die Taliban ein «Terrorregime» seien. Es gebe kein Land, das mit ihnen diplomatische Beziehungen unterhalte. Mit den Taliban zu verhandeln, sei ein «Adelsschlag für dieses Regime».
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel (46) sagte mit Blick auf die Zahl der Menschen, die ohne Einreiseerlaubnis ins Land kommen: «Die Menschen wollen diesen Kontrollverlust in unserem Land nicht mehr haben.»
Empörung über Rede von US-Vize
Die umstrittene Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz strahlte bis in die Fernsehrunde aus. Vance hatte in München unter anderem erklärt, es gebe keinen Platz für Brandmauern. Er nahm dabei indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über eine Abgrenzung von der AfD. Vance warnte in diesem Zusammenhang vor einer Gefährdung der Demokratie. Der Begriff Brandmauer bezieht sich vor allem auf die Union und die AfD.
Scholz sagte: «Was dort gesagt wurde, ist völlig inakzeptabel.» Deutschland habe aus der Erfahrung des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass es keine Zusammenarbeit mit den extrem Rechten gebe. Merz betonte mehrfach, für die Union komme eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage. «Und ich verbitte mir solche Einmischungen in die deutsche Bundestagswahl und auch in die Regierungsbildung danach.» Er fügte hinzu: «Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.»
Weidel weist «skandalösen» Vergleich zurück
Der Hinweis von Scholz auf den Nationalsozialismus liess AfD-Chefin Weidel empört reagieren: «Diesen Vergleich finde ich skandalös. Den weise ich für mich persönlich und für die gesamte Partei zurück.»
Der Kanzler erinnerte auch an Aussagen des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der im Juni 2018 gesagt hatte, Hitler und die Nazis seien «nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte». Später bezeichnete Gauland seine Äusserung als «missdeutbar und damit politisch unklug». Weidel entgegnete: «Sie können mich hier heute Abend beleidigen, wie Sie wollen. Sie beleidigen damit Millionen von Wählern. Mich trifft das überhaupt nicht. Ich repräsentiere diese Stimmen nur. Schreiben Sie sich das bitte hinter Ihre Ohren.»
Merz nannte die AfD «eine rechtsradikale Partei, zum grossen Teil rechtsextremistisch». Er warf Weidel vor, sie würde AfD-Rechtsaussen Björn Höcke «adeln». In einem Interview mit der «Bild»-Zeitung hatte Weidel gesagt: «Also Björn Höcke und ich, wir verstehen uns sehr gut.» Ihren früheren Versuch, Höcke aus der AfD auszuschliessen, bezeichnete sie als Fehler. Auf die Frage, ob sie ihn als geeignet für ein Ministeramt betrachte, antwortete Weidel mit «Ja».
«Wir müssen raus aus dieser Rezession»
Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik fanden Scholz, Merz, Habeck und Weidel keinen gemeinsamen Nenner. Scholz und Habeck warfen Union und AfD eine sozial ungerechte Steuerpolitik vor: Sie wollten mit milliardenschweren Plänen zu Steuersenkungen vor allem Menschen mit hohen Einkommen entlasten. Die Pläne seien zudem nicht gegenfinanziert. Habeck sprach mit Blick auf die Union und Merz von «Voodoo-Ökonomie».
Merz hielt dagegen: Er warf Scholz und Habeck mit Blick auf die Rezession in Deutschland eine verfehlte Wirtschaftspolitik vor. Er nannte als Beispiel das Lieferkettengesetz und das Abschalten der Atomkraftwerke. «Wir müssen raus aus dieser Rezession.» Man müsse das «bürokratische Monstrum» in den Griff bekommen. Der CDU-Vorsitzende sprach sich zudem für eine Senkung der Unternehmenssteuern aus.
Scholz erneuerte den Vorschlag der SPD, 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten. Im Gegenzug sollten Reiche mehr zahlen. Wenn man wie er als Kanzler über 300'000 Euro verdiene, solle man mehr Steuern zahlen.
AfD-Chefin Weidel sagte, die Energiepreise müssten durch Technologieoffenheit herunter, zum Beispiel durch grundlastfähige Kernkraftwerke, durch Kohle und durch Gas. Die gigantische Subventionspolitik bei erneuerbaren Energien müsse beendet werden, genauso wie die CO2-Abgabe.
Opposition oder Dschungelcamp?
Für Irritation sorgte eine Frage an die vier Kandidaten zum RTL-Reality-Format «Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!», in dem Promis gegeneinander antreten: «Was ist schlimmer für Sie, Opposition oder Dschungelcamp?» Weidel antwortete: «Definitiv Dschungelcamp.» Merz sagte zunächst: «Ich wundere mich über die Frage.» Dann: «Lieber Jahrzehnte in der Opposition als zehn Tage im Dschungelcamp.» Dem schloss sich Habeck an. Scholz sagte: «Ich will auch nicht ins Dschungelcamp.» Er habe die Sendung aber schon einmal gesehen.
Für ungläubige Reaktionen sorgte eine Frage an Merz: «Was ärgert Sie mehr: Dass Olaf Scholz immer sagt, Sie lügen? Oder dass sogar der Bundeskanzler besser bei jungen Frauen ankommt als Sie?» Weidel fragte ungläubig und lachend: «Der Bundeskanzler kommt besser bei jungen Frauen an? Echt?» Dazu brauche man in jedem Fall einen Faktencheck. Merz war ebenfalls verwundert: «Das höre ich heute Abend auch das erste Mal.»
SPD und Grüne als mögliche Koalitionspartner für CDU/CSU
Bei der Viererrunde baute Merz Brücken zu SPD und Grünen als möglichen Koalitionspartner der Union und hielt sich beide Optionen ausdrücklich offen. «Bei der FDP habe ich grossen Zweifel», fügte Merz hinzu. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss er abermals aus.
Merz sagte, er sei ziemlich sicher, dass nach der Wahl vernünftige Gespräche möglich seien. «Ich glaube, dass die Sozialdemokraten verstanden haben, dass sie so nicht weitermachen können. Ich glaube, dass die Grünen verstanden haben, dass sie so nicht weitermachen können. Und wir haben einen Plan für dieses Land.»
Merz klar im Vorteil
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte während der Sendung 2004 Zuschauer, wer am besten gewesen sei. Merz lag mit 32 Prozent deutlich vor Scholz mit 25 Prozent. Für Habeck und Weidel entschieden sich jeweils 18 Prozent. Dafür wurde Habeck am sympathischsten eingeschätzt: Für ihn entschieden sich in der Hinsicht 34 Prozent der Befragten, für Merz 23, für Scholz 19 und für Weidel 17 Prozent.
Die Frage, wer das Land am besten führen könne, ging ebenfalls an Merz, der 42 Prozent erzielte. Dahinter lagen Scholz mit 19, Weidel mit 16 und Habeck mit 13 Prozent. Klar wurde in der Umfrage allerdings auch, dass die Viererrunde kaum Auswirkungen auf den Wahlausgang haben wird. 84 Prozent der Befragten beantworteten die Frage, ob die Debatte ihre persönliche Wahlentscheidung verändert habe, mit «Nein». Lediglich 10 Prozent sagten «Ja».
Moderiert wurde die Viererrunde von zwei bekannten RTL-Gesichtern: Günther Jauch («Wer wird Millionär?») und Nachrichtenmoderatorin Pinar Atalay («RTL Direkt»). Sie achteten auch darauf, dass die Redeanteile der Kontrahenten in etwa gleich bemessen waren. Die Redezeiten wurden von RTL gestoppt und immer wieder eingeblendet. Am Schluss bekam jeder der vier Gäste die Gelegenheit für ein Schlussstatement.