Das sagen die Direktbeteiligten zum neuen Klassenkampf
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Linke gegen Bürgerliche:Das sagen die Direktbeteiligten zum neuen Klassenkampf

Gewerkschaften laufen Sturm gegen bürgerliche Steuer- und Rentenpläne
Linke bläst zum Klassenkampf

2022 wird zum Kampfjahr zwischen Bürgerlichen und Linken. Erstere haben gewichtigen Reformvorhaben ihren Stempel aufgedrückt. Linke und Gewerkschaften laufen Sturm. Es kommt zum neuen Klassenkampf.
Publiziert: 03.01.2022 um 00:38 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2022 um 07:48 Uhr
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Das Rentenalter der Frauen soll auf 65 steigen. Dagegen laufen die Gewerkschaften Sturm.
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Am Dienstag wird es eng im Berner Medienzentrum: Um 10 Uhr starten die bürgerlichen Stempelsteuer-Abschaffer ihren Abstimmungskampf für die Streichung der Emissionsabgabe. Gut eine Stunde später eröffnen gleichenorts die links-grünen Gegner des höheren Frauenrentenalters ihre Unterschriftensammlung gegen die AHV-Reform.

Die beiden Lager geben sich die Klinke in die Hand. Und markieren zwei Fronten, welche die zweite Legislaturhälfte prägen: Linke gegen Bürgerliche. Die Rückkehr zum Klassenkampf.

«Wenn es einen Klassenkampf gibt, dann kommt er von oben!», sagt Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53, VD).

«Die total veraltete Klassenkampf-Rhetorik zeigt, wie rückwärtsgewandt die Linke politisiert», kontert FDP-Chef Thierry Burkart (46, AG). «Es ist an der Zeit, dass wir nach dem Reformstau der letzten Jahre das Land mit Reformen voranbringen.»

Es geht um viel Geld

Klar ist: Bis zu den Wahlen 2023 prallen die beiden Fronten gleich mehrfach in gewichtigen Themen aufeinander. Es geht um Projekte, welche die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausrichtung der Schweiz prägen. Und um viel Geld.

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  • AHV-Reform: Ein Mammutgeschäft ist die AHV-Reform. Das Frauenrentenalter wird stufenweise von 64 auf 65 Jahre erhöht. Von den damit in zehn Jahren gesparten zehn Milliarden Franken fliessen nur gut drei Milliarden Franken an die Frauen zurück. Für neun Frauenjahrgänge gibt es einen abgestuften Rentenzuschlag von 50 bis 160 Franken. Frauen ab Jahrgang 1969 gehen leer aus. Linke und Gewerkschaften sammeln derzeit Unterschriften für das Referendum. Die Vorlage kommt wohl im September vors Volk.
  • Verrechnungssteuer: Auch die Verrechnungssteuer soll teilweise fallen – zumindest auf inländische Obligationszinsen. Neben einmaligen Mindereinnahmen von einer Milliarde Franken rechnet der Bund im aktuellen Tiefzinsumfeld mit jährlichen Steuerausfällen von gegen 200 Millionen Franken. Die Verrechnungssteuer sei nötig, damit «auch Oligarchen und dubiose Vermögensverwalter bei den Steuern nicht betrügen», moniert die SP. Zusammen mit Grünen und Gewerkschaften hat sie deshalb das Referendum ergriffen. Economiesuisse hingegen bezeichnet das Geschäft als «die derzeit für den Unternehmensstandort wichtigste Steuervorlage». Kommt das Referendum zustande, wird wohl noch dieses Jahr darüber abgestimmt.
  • BVG-Reform: Nicht nur bei der AHV-Reform, sondern auch bei der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) geht es ans Eingemachte. Die Bürgerlichen haben den Sozialpartner-Kompromiss von Arbeitgeberverband und Gewerkschaften vom Tisch gefegt. Der Nationalrat will die Senkung des Umwandlungssatzes lediglich gezielt einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen mit einen Rentenzuschlag kompensieren. Die grosse Mehrheit bekommt nichts. Nun ist der Ständerat an der Reihe. Hält diese am harten Kurs fest, ist das Referendum von links sicher.
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SP-Maillard: «Bürgerliche Abbau-Offensive»

«Bei der Altersvorsorge lancieren die Bürgerlichen ihre Abbau-Offensive und gleichzeitig verteilen sie die Steuergeschenke für die Aktionäre», wettert Maillard. Schon fast mit Wehmut blickt er auf die erste Legislaturhälfte zurück, als man auch mit Hilfe von FDP und Mitte noch soziale Fortschritte erreicht habe – beispielsweise mit dem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub oder der Überbrückungsrente für ältere Arbeitslose.

Tempi passati! Nun weht wieder ein rauerer Wind. «Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das geändert», so Maillard. «Wenn nur von der Corona-Krise gesprochen wird, ist es einfacher, unsoziale Projekte voranzutreiben.»

Maillard führt die «aggressive Phase» auch auf den Wettbewerb zwischen den bürgerlichen Parteien zurück. In zwei Jahren stehen die nationalen Wahlen an und insbesondere bei der FDP sei die Nervosität gross. «Man spürt den Einfluss der neuen FDP-Leitung», so Maillard.

Tatsächlich steht der neue FDP-Präsident Burkart für einen wirtschaftsliberaleren Kurs. «Damit erlebt die alte freisinnige Idee ein Revival, wonach Kapital und Aktionäre möglichst tief oder gar nicht besteuert werden sollen», moniert Maillard. «Die Normalverdienenden werden dann allein den ganzen Preis der Pandemiekrise bezahlen müssen.»

FDP-Burkart: «Linke arbeiten gegen junge Generationen!»

«Die Linke verteidigt mit ihrer Blockade-Politik den Status quo, dabei sind die geplanten Reformen dringend nötig», sagt FDP-Präsident Burkart. Es gehe darum, die Altersvorsorge zu sichern und die Umverteilung von Jungen zu Alten zu stoppen. Ebenso darum, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu bewahren. «Beide Bereiche sind auch für die kommenden Generationen entscheidend – die Linken arbeiten gegen die jungen Generationen!»

Dass die Bürgerlichen den sozial- und wirtschaftspolitischen Kurs wieder stärker prägen, freut Burkart. «Jahrelang hat die linke Politik obsiegt», sagt er. «Nun haben FDP, SVP und Mitte wieder stärker zueinandergefunden – und sorgen für eine Kurskorrektur. Natürlich ärgert das die Linke.»

Erster Showdown im Februar

Im Februar kommt es bei der Stempelsteuer zur ersten Schlacht der Klassenkämpfer. Eine Schlacht, die ein Fanal für die kommenden Auseinandersetzungen sein könnte.

«Wir sind parat und werden uns voll engagieren», sagt Maillard. Mit einer neuen Initiative wollen die Gewerkschaften zudem Nationalbank-Gewinne in die AHV umleiten und so der Debatte zusätzlichen Auftrieb geben.

«Es braucht dringend Reformen, wenn wir unser Land erfolgreich in die Zukunft führen wollen», zeigt sich auch Burkart kämpferisch. «Wir sind zwar immer offen für Kompromisse, aber nicht um jeden Preis.»

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