Welche Folgen hat die 99-Prozent-Initiative?
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Abstimmung im September:Welche Folgen hat die 99-Prozent-Initiative?

99-Prozent-Initiative wird zum Showdown im Steuerstreit
Wandern jetzt die Reichen aus?

Die Jungsozialisten wollen Reiche zur Kasse bitten, die Bürgerlichen möchten sie entlasten. Der Urnengang über die 99-Prozent-Initiative wird zum Höhepunkt im Steuerstreit.
Publiziert: 29.08.2021 um 13:12 Uhr
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Aktualisiert: 29.08.2021 um 13:18 Uhr
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Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher ist knapp 9 Milliarden schwer.
Foto: keystone-sda.ch
Danny Schlumpf

Den Milliardären dieser Welt kann die Pandemie nichts anhaben: In den letzten zwölf Monaten ist ihr Gesamtvermögen von fünf auf 13 Billionen Dollar gestiegen. In der Schweiz legten die sechs Reichsten um 15 Milliarden Franken zu. Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher (52) ist mittlerweile knapp neun Milliarden schwer.

Mehr arbeiten müssen die Reichen dafür nicht, das übernimmt die Börse: Die Aktienkurse explodieren. Und in der Schweiz sind Kursgewinne steuerfrei.

Doch damit soll bald Schluss sein – wenn es nach den Jungsozialisten geht. Ihre 99-Prozent-Initiative zielt auf die Kapitaleinkommen: Aktiengewinne, Zinsen und Dividenden sollen künftig 1,5-mal so hoch besteuert werden wie Arbeitseinkommen, sobald die Gewinne 100'000 Franken übersteigen.

«Das trifft ein Prozent der Schweizer», sagt Juso-Präsidentin Ronja Jansen (26). «Diese kleine Geld-Elite besitzt 43 Prozent der Vermögen in unserem Land.» Von der Besteuerung der Kapitalgewinne verspricht sich Jansen jährlich zehn Milliarden für die Bundeskasse. «Damit können wir die tiefen und mittleren Einkommen entlasten, also die restlichen 99 Prozent.»

SVP sorgt sich um die Unternehmer

Am 26. September stimmt die Schweiz über die Initiative ab. In der letzten GFS-Umfrage erreichte der Vorschlag eine knappe Mehrheit. Knacken die Juso jetzt die Tresore? «Das wäre ein Desaster», sagt SVP-Nationalrat Thomas Matter (55). Es treffe eben nicht nur das eine Prozent, sondern alle Unternehmer im Land. «Sie müssten künftig von Montag bis Donnerstag für den Staat arbeiten. Für sie selbst bliebe noch übrig, was am Freitag reinkommt.»

Und wenn Firmen litten, heisse das auch für die tiefen Einkommen nichts Gutes. «Die Juso sägen am Ast, auf dem ihre Wähler sitzen», sagt Matter. Ronja Jansen widerspricht: Die Initiative besteuere keine Unternehmen. «Und die meisten Firmenbesitzer kommen nie auf 100'000 Franken Kapitaleinkommen.»

Vielmehr konzentriere sich das Geld in den Händen von ein paar Superreichen. «Die investieren es aber oft nicht», sagt Jansen. «Sie spekulieren damit an der Börse.»

Matter warnt: «Die reichsten zehn Prozent in der Schweiz zahlen 50 Prozent der direkten Steuern.» Ein Frontalangriff wirke verheerend: «Die Juso wollen die besten Milchkühe zu Tode melken.» Matter fragt: «Und was tun Kühe in so einem Fall? Sie suchen sich einen anderen Stall, wo sie besser gepflegt werden.»

Wieder leere Drohungen?

Wandern jetzt die Reichen aus? «Diese Drohung wird immer wieder aufs Neue präsentiert», sagt Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger (58) von der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Die Schweiz wäre schon längst eine Einöde, wenn sich das stets bewahrheitet hätte.» Es würden nur ganz wenige Unternehmen abwandern, so Binswanger. «Die Steuern sind nur ein Element, das die Schweiz attraktiv macht.»

Pläne der SP: Wermuth und Meyer im Interview

Anders als die Juso denkt offenbar das Parlament: Letzte Woche winkte die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats die Vorlage des Bundesrats zur Reform der Verrechnungssteuer durch. Die Steuer soll nicht die Staatskasse füllen, sondern als Pfand zur Verhinderung von Steuerhinterziehung wirken. Allerdings bekommen Ausländer zumindest einen Teil davon nicht zurück.

«Dieses Vorgehen hemmt Investitionen und Firmenfinanzierungen in der Schweiz», sagt WAK-Mitglied Daniela Schneeberger (53). Die FDP-Nationalrätin ist auch Präsidentin des Verbands Treuhand Suisse. «Wir Treuhänder erleben täglich, dass die Schweiz hier unnötig schlecht dasteht. Die Steuer behindert Wachstum.» Sie fordert, einen Teil von ihr zu streichen – die Verrechnungssteuer auf Obligationen. «So holen wir Firmenfinanzierungen zurück in die Schweiz», so Schneeberger.

Parlament will Emissionsabgabe streichen

Auch die Emissionsabgabe auf Eigenkapital soll fallen. Diese Stempelsteuer wird bei Firmengründungen und Kapitalerhöhungen fällig. Die Parlamentsmehrheit will sie abschaffen – die Linke ergreift das Referendum. «Die Bürgerlichen wollen der Finanzbranche und den Konzernen weitere Milliarden schenken», sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (35). «Ihr Ziel ist die totale Abschaffung der Stempel- und der Verrechnungssteuer. Dass sie so der Steuerhinterziehung Tür und Tor öffnen, nehmen sie billigend in Kauf.»

Dafür hat Wirtschaftsprofessor Marius Brülhart (53) von der Uni Lausanne eine Lösung: «Wir können die Verrechnungssteuer abschaffen, ohne die Sicherung zu verlieren – mit einem Meldesystem.» Für Ausländer gelte der automatische Informationsaustausch. «Den könnten wir auch im Inland anwenden. So beseitigen wir den Wettbewerbsnachteil, ohne die Steuerehrlichkeit zu opfern.»

Wermuth besänftigt dies kaum. «Es geht ja immer weiter», sagt der SP-Nationalrat. «Als Nächstes soll der Eigenmietwert fallen, was den Hausbesitzern das Leben leichter macht.» Tatsächlich sagte der Bundesrat diese Woche seine Unterstützung für das Unterfangen zu.

Salamitaktik

«Das ist eine Salamitaktik, die Schritt für Schritt Reiche und Konzerne entlastet», so Wermuth. «Die Bürgerlichen wollen das Kapital vollständig von den Steuern befreien. Und das mitten in einer Pandemie, die tiefe und mittlere Einkommen mit voller Wucht trifft.»

Schlechtes Timing? «Den idealen Zeitpunkt gibt es nicht», sagt Nationalrat Leo Müller (63, Die Mitte). Von Salamitaktik könne keine Rede sein. «Von der Abschaffung der Stempelsteuer und der Reform der Verrechnungssteuer profitieren zwar die Unternehmen und Aktienbesitzer», erklärt Müller. «Aber wir holen damit wichtige Geschäfte in die Schweiz zurück. Das schafft Arbeitsplätze und langfristig Mehreinnahmen für den Bund, was zur Krisenbewältigung beiträgt.»

Ob 99-Prozent-Initiative, Stempel- oder Verrechnungssteuer, immer geht es um die Frage: Wie geht die Schweiz mit den Reichen um – und welche Rolle spielt Corona? «Die Pandemie ist für Linke und Rechte ein Aufhänger, um ihre Anliegen durchzubringen», sagt Ökonom Brülhart. «Linke nutzen sie, um die Ungleichheit aufzuzeigen und mehr Geld von den Reichen zu fordern. Rechte betonen die Bedeutung krisenresistenter Firmen und verlangen weitere Entlastungen.»

Entscheiden wird das Volk.

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