Wie viel Eigenkapital muss eine Grossbank ausweisen? Wie viel Risiko darf sie für den Profit auf sich nehmen? 15 Jahre lang scheiterte die Linke am bürgerlichen Widerstand, hier Verschärfungen anzusetzen. Mit Mitte-Präsident Gerhard Pfister (60), der im Gespräch mit SonntagsBlick seinen Meinungswechsel ankündigt und erklärt, könnten sich in dieser Frage nun die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Doch ist der Gegendruck bereits programmiert – und damit die Debatte über die Finanzplatzregulierung.
SonntagsBlick: Herr Pfister, seit letztem Sonntag hat die Schweiz nach einer spektakulären Rettung durch die UBS eine Grossbank weniger. Ihre Noten für die Politik?
Gerhard Pfister: Man muss den Verantwortlichen immerhin zugutehalten, dass sie etwas erreicht haben, nämlich dass aus der Schweiz heraus kein internationaler Bankencrash erfolgt ist. Diesem Ziel hat man vieles untergeordnet. Etwas hat mich aber an der Medienkonferenz am Sonntagabend richtig geärgert.
Was meinen Sie?
Es machte mich betroffen, dass zwei Gruppen kaum erwähnt wurden: die Kundinnen und Kunden und die Mitarbeitenden der Credit Suisse. Ich finde es schon bemerkenswert, dass man bei einem so schwierigen Entscheid den Fokus ganz auf das Technische, auf die Finanzmärkte richtet, aber die betroffenen Menschen nicht anspricht. Das hätte man unbedingt machen müssen – egal ob Bundesrätin Keller-Sutter oder die Chefs von CS oder UBS.
Sonst sind Sie zufrieden mit dem Vorgehen?
Man stellt sich als Parlamentarier schon einige Fragen. Uns hat man immer gesagt, dass die jetzige Regulierung reicht, und jetzt sieht man: Es hat eben doch nicht gereicht.
Sie meinen die «Too big to fail» Gesetzgebung.
Ich kann mich gut erinnern, als man uns nach der UBS-Rettung 2008 sagte: Das wird jetzt nicht mehr passieren …
Wer ist «man»?
Natürlich hat das CS-Management dieses Debakel verursacht. Aber der Regulator steht auch in der Verantwortung, also die Aufsicht, die Nationalbank, der Bundesrat. Ich sage: Wenn es der politische Wille ist, dass so was nicht mehr passiert, muss man Gesetze machen, die das verhindern. Ich glaube, dass die Bevölkerung wissen will, was wir machen, damit wir nach 2008 und 2023 kein drittes Mal eine Grossbank retten müssen.
1962 in Zug geboren, studierte Gerhard Pfister in Freiburg Literatur und Philosophie, wo er mit seiner Dissertation über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke promovierte. Pfister wurde Präsident der Zuger CVP, 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. Seit 2016 präsidiert er die Mitte, die bis 2020 CVP hiess. Er ist verheiratet und lebt in Oberägeri ZG.
1962 in Zug geboren, studierte Gerhard Pfister in Freiburg Literatur und Philosophie, wo er mit seiner Dissertation über den österreichischen Schriftsteller Peter Handke promovierte. Pfister wurde Präsident der Zuger CVP, 2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. Seit 2016 präsidiert er die Mitte, die bis 2020 CVP hiess. Er ist verheiratet und lebt in Oberägeri ZG.
Und zwar einen noch viel grösseren Konzern.
Ein Gebilde, das von vielen als «too big to be rescued» (zu Deutsch: zu gross, um gerettet zu werden) beurteilt wird. Wären wir dann überhaupt noch in der Lage, so etwas abzuwickeln? Es geht um Steuergelder. Im Parlament tragen wir manchmal harte Kämpfe wegen ein paar hunderttausend oder einer Million Franken aus. Und dann werden über Nacht mal schnell per Notrecht 209 Milliarden Franken locker gemacht. So droht ein Glaubwürdigkeitsschaden für Wirtschaft und Politik.
Hoffen Sie, dass das Ganze die Haltung in den Teppichetagen ändern wird?
Am Sonntag verteufelt man den Staat, und am Montag ruft man nach ihm. Diese Mentalität geht nicht mehr, darum appelliere ich an die Verantwortlichen in der Wirtschaft, sich in Zukunft differenzierter zur Rolle des Staates zu äussern. Die Überheblichkeit gewisser Banker, die mit dem Geld anderer Leute bei der Weltspitze mitspielen wollen, funktioniert nicht. Ich habe mit grosser Zufriedenheit gehört, dass der Präsident der UBS sagte, ein guter Banker müsse langweilig sein. Und ich hoffe sehr, dass die grosse UBS sehr langweilig bleibt. Denn eine langweilige Bank ist eine solide Bank. Wenn aber die Leute an der Spitze ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, kann auch die strengste Regulierung nicht helfen.
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Womit wir wieder beim Stichwort Regulierung sind. Wie soll diese verändert werden, um einen nächsten Grossbanken-GAU zu verhindern?
Die vorgegebene Höhe des Eigenkapitals ist für mich der zentrale Punkt. Wer eine Wohnung kaufen will, muss 20 Prozent Anteil des Kapitals selbst einbringen, bevor die Bank überhaupt bereit ist, für eine Hypothek ins Risiko zu gehen. Ich bin überzeugt, dass eine hohe Eigenkapitalquote für Banken ganz viele Regulierungsvorschriften ersetzt und die richtigen Anreize setzt.
Laut Kritikern würde dies aber die Wettbewerbsfähigkeit einschränken.
In der heutigen Zeit ist eine solide Eigenkapitalbasis das, was die Kunden wollen. Zu wenig Eigenkapital bringt Risiken, die wir den Steuerzahlenden nicht mehr zumuten können. Tiefes Eigenkapital ist ein falscher Anreiz für ein höheres Risiko, damit die kurzfristig Eigenkapitalrendite höher ausfällt. Damit wiederum rechtfertigen die Chefetagen die hohen Boni. Geht das Ganze schief, müssen die Steuerzahlenden einspringen. Deshalb, bin ich überzeugt, ist der Kern des Problems die mangelnde Ausstattung mit Eigenkapital. Die Regulierungen haben den Nachteil, dass sie eigentlich ums Risiko herum regulieren, den Kern des Risikos aber nicht treffen.
Heute muss das Eigenkapital der Geldinstitute fünf Prozent ihrer Bilanzsumme betragen. Was fordern Sie?
Es braucht eine Eigenkapitalquote von 20 Prozent, das wird von diversen renommierten Fachleuten für vernünftig gehalten.
Ihr Positionswechsel ist beachtlich. Die Linke verlangt das schon lange, fand aber wegen dem Widerstand der Bürgerlichen nie eine Mehrheit.
Wir müssen in der Politik aufhören, eine Idee schon deshalb abzulehnen, weil sie vom politischen Gegner kommt.
Das Ansinnen hatte also keine Mehrheit, weil es von links kam?
Das lag sicher auch am Absender. Natürlich gibt es schon jetzt wieder Interessenvertreter, die dagegen lobbyieren, aber jetzt müssen wir überparteilich das Wohl des Landes im Auge behalten. Da erwarte ich von allen Parteien, dass sie wenn nötig über den eigenen Schatten springen. Als gewählter Parlamentarier und Parteipräsident habe ich eine Rechenschaftspflicht gegenüber meinen Wählerinnen und Wählern und meinem Land, dann kann ich doch nicht sagen: Ich habe keinen Fehler gemacht.
Im Umkehrschluss werfen Sie Mitte, FDP und SVP vor, die letzten 15 Jahre falsch gelegen zu haben. Das ist für den sogenannten Schulterschluss im Wahljahr wenig förderlich.
Ich finde diese Schulterschlussdiskussion, diese Blockhaltung nicht mehr zeitgemäss. Wer da als Bürgerlicher sagt, er habe keine Fehler gemacht, macht meines Erachtens denselben Fehler, den er dem CS-Management vorwirft.
FDP-Präsident Thierry Burkart und SVP-Nationalrat Thomas Matter wollen die CS Schweiz heraustrennen und als eigene Bank retten. Ihre Meinung?
Wir sind uns einig, dass die UBS eine kritische Grösse erreicht hat. Wenn man den Schweizer Teil abtrennt, ist die UBS allerdings nicht wahnsinnig viel kleiner. Und könnte die Politik die UBS überhaupt dazu zwingen? Aber wir müssen alle Optionen diskutieren, wie auch das Trennbankensystem. Dazu kommt: Wenn die UBS dieser Koloss bleibt, dann wird ihr die Politik regulatorische Fesseln anlegen …
… eine Lex UBS.
Richtig, dann wird es eine Lex UBS geben. Dann wird sich die Bank wohl gut überlegen, ob sie ihre Grösse aufgeben oder die Regulatorien über sich ergehen lassen will, mit denen die Schweiz sicherstellt, dass nicht auch diese Bank eines Tages zu Lasten der Steuerzahlenden gerettet werden muss.
Es ertönen Geldforderungen an die ehemaligen CS-Manager. Unterstützen Sie das?
Ich fände es sehr sinnvoll und anständig, wenn die sehr gut besoldeten Manager freiwillig etwas zurückzahlen würden. Wenn dies nicht passiert, muss man prüfen, was sich auf dem Rechtsweg machen lässt. Es geht wie gesagt um das Vertrauen der Bevölkerung in Wirtschaft und Politik.