Kleine Institute müssen ihre Liquidität besser im Griff haben
Hauruck-Milliarden der Nationalbank sind ein Privileg der Grossbanken

Die SNB-Finanzspritze für die Credit Suisse sehen namhafte Persönlichkeiten nicht als Staatshilfe. Tatsache ist jedoch: Kleine Geldhäuser könnten sich in der gleichen Situation nicht darauf verlassen, dass die Notenbank ihnen unter die Arme greift.
Publiziert: 19.03.2023 um 10:19 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2023 um 16:26 Uhr
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Jean-Pierre Danthine (r.) war von 2010 bis 2015 Direktoriumsmitglied der Schweizerischen Nationalbank.
Foto: Keystone
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Christoph Blocher (82) kämpfte 2008 nach der UBS-Rettung dafür, die Grossbanken so aufzuspalten, dass man einzelne Teile untergehen lassen kann. Oswald Grübel (79) hat sowohl die UBS als auch die Credit Suisse geführt. Jean-Pierre Danthine (72) war von 2010 bis 2015 Direktoriumsmitglied der Schweizerischen Nationalbank.

Eines haben alle drei gemeinsam: Im Gespräch mit SonntagsBlick wollen sie die Tatsache, dass die SNB der CS 50 Milliarden Franken zur Verfügung stellen musste, nicht als Staatshilfe bezeichnen – obwohl die Grossbank auf dem freien Markt die nötige Liquidität, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, wohl nicht mehr erhalten hätte.

«Was wir diese Woche gesehen haben, war keine Staatsrettung», sagt Danthine. Die Nationalbank habe der CS lediglich zusätzliche Liquidität zur Verfügung gestellt und dafür Sicherheiten erhalten. «Das ist für eine Notenbank etwas ganz Normales», so der ehemalige Vize von SNB-Präsident Thomas Jordan (60).

Auch Grübel beurteilt die Aktion als nichts Aussergewöhnliches: «Die SNB erfüllt nur ihre Aufgabe: Sie stabilisiert das Schweizer Finanzsystem.»

Liquidität, oder man ist Geschichte

Blocher verweist ebenfalls darauf, dass die SNB für ihre Finanzspritze Wertschriften und Hypotheken als Sicherheiten erhalten habe. Er macht gar Hoffnung auf ein Happy End: «Solche Darlehen muss die CS eines Tages zurückbezahlen – inklusive Zinsen».

Rein formell mögen die Autoritäten recht haben. Das Bauchgefühl der Bevölkerung dürfte aber ein anderes sein. Denn insbesondere jene, die selbständig sind oder ein KMU führen, wissen: Ich muss meine Finanzen im Griff haben und liquide sein. Sonst bin ich Geschichte.

Das gilt auch für kleine, unabhängige Regionalbanken wie die Spar- und Leihkasse Wynigen. Das Finanzinstitut im Emmental zählt zwar nur 6,9 Vollzeitstellen, besteht aber seit 1929. Das ist nicht ganz so lange wie die CS, deren Wurzeln ins Jahr 1856 zurückreichen. Dafür verfügt die Minibank über eine deutlich höhere Eigenmittelquote als die Grossbank – und damit über ein bequemeres Polster, falls es mal zu Problemen kommen sollte.

Eigenmittelquote als «Lebensversicherung»

«Wir haben eine Eigenmittelquote von zwölf Prozent», sagt Bankleiter Erich Pfister (49) zu SonntagsBlick. «Das ist viel im Vergleich zu anderen Regionalbanken – und sogar sehr viel im Vergleich zu den Grossbanken.» Tatsächlich: Die CS hat eine Eigenmittelquote von 5,4 Prozent, die UBS von 4,4 Prozent.

Pfister bezeichnet die hohe Eigenmittelquote seiner Bank als «Lebensversicherung». Denn er weiss: «Falls es einmal hart auf hart kommen sollte, können wir uns nicht darauf verlassen, dass uns die Nationalbank unter die Arme greifen würde. Im Gegensatz zur CS sind wir nicht systemrelevant.»

Sind die Hauruck-Milliarden der Nationalbank ein Privileg der Grossbanken?

Freiwillig grössere Eigenmittel

Die SNB will sich dazu nicht äussern. Ihr ehemaliger Vizedirektor Danthine sagt: «Ich würde nicht ausschliessen, dass eine kleine Regionalbank bei einem solchen Liquiditätsengpass ebenfalls Hilfe erhalten würde von der SNB – sofern die Bank solvent ist.» Noch wahrscheinlicher sei aber, dass die Behörden in einem solchen Fall eine Übernahme durch eine grössere Bank aufgleisen würden.

Der Berner Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti (60), einer der Väter des «Too big to fail»-Regelwerks, bestätigt ebenfalls, dass vor der SNB nicht alle gleich sind: «Die Emergency Liquidity Assistance kann die SNB nur systemrelevanten Banken geben, denen die Finma Solvenz attestiert.» Damit hätten die Grossbanken ein zusätzliches Instrument, so Brunetti. Im Gegenzug müssten sie aber auch höhere Kapital- und Liquiditätsvorgaben erfüllen als ihre kleineren Konkurrenten.

So viel zur Theorie. In der Praxis verfügen kleine Institute im Verhältnis aber meist über deutlich mehr Eigenmittel als die Grossbanken. «Das ist nicht neu», bestätigt der ehemalige Nationalbanker Danthine. «Die Grossbanken gehen mehr ans Limit, wenn es um die Eigenmittelquote geht.»

Was die Gründe dafür sind, kann Danthine nicht abschliessend sagen. Er vermutet einen Zusammenhang damit, dass die Grossbanken von den Märkten mehr Druck verspüren, eine hohe Rendite zu erwirtschaften.

«Grossbanken geniessen implizite Staatsgarantie»

Vertreter von Kleinbanken haben aber noch eine andere Erklärung für die höhere Risikobereitschaft der Grossbanken: «Das hängt wohl auch mit der impliziten Staatsgarantie zusammen, welche die Grossbanken nach wie vor geniessen.» Diese Aussage stammt von einem Brancheninsider, der seinen Namen aufgrund der angespannten Situation nicht in der Zeitung lesen will. Für ihn ist klar: «Systemrelevante Banken profitieren von einer Wettbewerbsverzerrung.» Wettbewerbsverzerrungen haben in der Finanzbranche eine lange Tradition: Die meisten Kantonalbanken geniessen eine unbeschränkte Staatsgarantie. Bei einer Pleite würde der Eignerkanton für sämtliche offenen Schulden geradestehen – also auch für die Spargelder der Kundinnen und Kunden.

Im Gegensatz zu den Grossbanken bezahlen die Kantonalbanken für ihre Staatsgarantie aber Jahr für Jahr viel Geld. Allein 2021 leisteten die 24 Kantonalbanken Abgeltungsleistungen an die Kantone im Umfang von rund 1,7 Milliarden Franken. «Die Abgeltung für die Staatsgarantien und die gesetzlichen Gewinnablieferungen umfassten mit 1,04 Milliarden Franken den grössten Anteil davon», so der Verband Schweizerischer Kantonalbanken auf Anfrage.

SNB-Finanzspritze reicht wohl nicht

Die Grossbanken dagegen bleiben verschont von solchen Verpflichtungen. Nun steigt aber der Druck, dass sich das ändert. Der «Tages-Anzeiger» forderte gestern in einem Leitartikel: «Diese Gratiskultur muss ein Ende haben.» Die Zeitung propagiert eine finanzielle Abgeltung für die faktische Staatsgarantie, ähnlich wie ein Zins für einen Kredit. «Das würde sofort das Geschäftsgebaren der systemrelevanten Banken ändern, sprich: Sie würden weniger Risiken eingehen.»

Bei der CS ist es für eine Änderung der Risikokultur – die auch am Ursprung der aktuellen Krise steht, Stichworte Archegos und Greensill – eventuell schon zu spät. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass die Finanzspritze der SNB nicht reicht, um das Vertrauen in die Grossbank wiederherzustellen. Zumindest insofern haben Blocher, Grübel und Danthine also definitiv recht, wenn sie sagen, dass wir diese Woche keine CS-Rettung erlebt haben.

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