Wir schreiben das Jahr 1856, die moderne Schweiz ist noch keine zehn Jahre alt: Alfred Escher (1819–1882) gründet mit Gleichgesinnten die Schweizerische Kreditanstalt, um – unabhängig vom Ausland – genügend Kapital zu beschaffen für den Eisenbahnbau. 1997 wird die Kreditanstalt zur Credit Suisse (CS), eine internationale Grossbank, die mit der Schweiz im Namen auf der ganzen Welt um Milliardenvermögen wirbt.
Auch mit neuem Namen war die CS lange erfolgreich. In den vergangenen 15 Jahren leistete sich die Konzernspitze aber fatale Fehlentscheidungen in der strategischen Ausrichtung der Bank sowie unzählige Skandale wie Bonus-Exzesse, Beschattungen und Milliardenbussen. Inzwischen ist das Vertrauen in die CS erschüttert, die Aktie nicht mal mehr einen Fünfliber wert. Die aktuelle Führungsriege musste deshalb in den vergangenen Wochen dringend nach Lösungen suchen, wie die Talfahrt gestoppt werden könnte.
Diese Woche präsentierten CS-Boss Ulrich Körner (60) und Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann (63), beide erst seit wenigen Monaten im Amt, ihre Konzepte für die Zukunft (siehe Box). Sie taten dies jedoch nicht am Zürcher Paradeplatz, sondern in einem trostlosen Saal im fernen London. Die Ortswahl ist bezeichnend für die Entwicklung der CS: In der Bank, auf der Schweiz draufsteht, ist immer weniger Schweiz drin.
Ein Blick in die Geschäftsberichte zeigt: Die Zahl der Arbeitsplätze nimmt in der Schweiz stetig ab. 2001 zählte die CS in der Schweiz rund 28'600 Vollzeitstellen. Heute entfallen nur noch etwa 16'000 der insgesamt 50'000 Arbeitsplätze aufs Heimatland der Bank. Und im Zuge der jüngsten Umstrukturierung, die Körner und Lehmann diese Woche ankündigten, sollen in der Schweiz weitere 2000 Jobs wegfallen. In absehbarer Zeit wird die Credit Suisse hierzulande also nur noch halb so viele Leute beschäftigen wie zur Jahrtausendwende.
Swissness wirft Fragen auf
Michael von Felten (62), Präsident des Schweizerischen Bankpersonalverbands, wirft angesichts dieses Rückgangs die Frage auf, wie viel Schweiz in einer Bank stecken muss, die sich Credit Suisse nennt. «Die Grossbanken profitieren weltweit vom Swissness-Label, das nach wie vor für Sicherheit und Vertrauen steht. Demzufolge haben sie auch eine besondere Verantwortung für die Angestellten und die Arbeitsplätze in der Schweiz.»
Besonders bitter ist der helvetische Schrumpfkurs in der Schweiz deshalb, weil für die aktuelle Krise vor allem die Investmentbanker in den USA verantwortlich sind. «Die Schweizer Angestellten arbeiten äusserst erfolgreich und bilden damit die Basis für eine gesunde Geschäftsentwicklung der CS», sagt Finanzanalyst Andreas Venditti (50) von der Bank Vontobel.
Angesichts dessen vermisste Venditti bei der Präsentation von Körner und Lehmann, dass das Schweiz-Geschäft nicht stärker betont wurde. «Das verunsichert die Mitarbeiter.»
Ins gleiche Horn stösst Vincent Kaufmann (42), Geschäftsführer der Aktionärsstiftung Ethos. Auch für ihn geht das Bekenntnis zur Schweiz zu wenig weit. «Zwar betont die CS-Führung die Schweizer Wurzeln der Bank. Was das konkret für die Angestellten heisst, bleibt aber unklar.» Das Schweizer Geschäft müsste viel stärker «gepusht» werden, fordert Kaufmann.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die CS grossmehrheitlich in ausländischen Händen befindet. Gemäss Geschäftsbericht 2021 stammen nur noch 20 Prozent der institutionellen Anleger aus der Schweiz – und durch den Einstieg der Saudi National Bank, welche die Bankspitze diese Woche als neue Grossinvestorin präsentierte, verliert die Schweiz weiter an Gewicht.
Sind die Aktionäre schuld?
Könnte diese Zusammensetzung des Aktionariats mit ein Grund dafür sein, dass die CS in der Schweiz in den vergangenen zwei Jahrzehnten überdurchschnittlich viele Stellen abgebaut hat? Oder anders gefragt: Hätte die CS vielleicht mehr Jobs in der Schweiz belassen, wenn die Kapitalgeber einen grösseren Bezug hätten zum Ursprungsland des Unternehmens?
Die CS selbst bestreitet das vehement. «Ein solcher Einfluss existiert nicht», sagt ein Sprecher. Die Bank sei vielmehr stolz auf ihre «breite und internationale Aktionärsbasis», welche die globale Reichweite des Unternehmens widerspiegle und wichtig sei, um nachhaltiges Wachstum für die Bank zu erzielen.
Den Abbau der vergangenen zwei Jahrzehnte erklärt die CS damit, dass sich die Bank im Laufe der Jahre den Marktentwicklungen und sich ändernden Kundenbedürfnissen angepasst habe. «Darüber hinaus – und im Einklang mit unserer Geschäftsstrategie – haben wir unser Geschäftsmodell stetig erneuert und teilweise globalisiert», so ein Sprecher. Die CS bekenne sich aber voll und ganz zu ihrem Heimmarkt. «Die Swiss Bank ist eines der Herzstücke der neuen Bank.»
Michael von Felten vom Bankpersonalverband nimmt die CS beim Wort und fordert, dass die Verantwortlichen nun auch dementsprechend handeln.