Der Paukenschlag ertönte in der Nacht auf Samstag. «UBS in Gesprächen, um die CS zu übernehmen», titelte die «Financial Times».
Mit eiskalter Präzision traf die Meldung an diesem 18. März 2023 die Finanzwelt – und markierte den dramatischen Höhepunkt einer schwarzen Woche für den Schweizer Bankenplatz, die das Ende der 166-jährigen Credit Suisse besiegelte.
Das Blatt versteckte seinen Scoop keineswegs hinter einem Konjunktiv, verzichtete auf Relativierungen wie «dem Vernehmen nach» und überrumpelte damit in der Schweiz nicht nur die Medien, sondern auch Bundesrat, Finma, Nationalbank sowie die Spitzen von UBS und CS, die sich noch in Geheimgesprächen befanden.
Plötzlich standen die Akteure am Verhandlungstisch unter Zugzwang: Durch die Enthüllung schien das taumelnde Geldinstitut an den Märkten nun definitiv todgeweiht, ein Platzen der Verhandlungen kam nicht mehr infrage, zu einer Einigung bis Sonntag gab es keine Alternative mehr.
«Kicking the shit out of the Swiss»
Die letzten Tage der CS wurden zu einem Schauspiel der nationalen Ohnmacht: Während die Schweiz die Grossbank zu Grabe trug, lag die Deutungshoheit über diese helvetische Tragödie nicht in Bern oder Zürich, sondern an 1 Friday Street in London. Die traditionsreiche britische Tageszeitung, kurz «FT» genannt, hatte den unbestrittenen Lead in der Berichterstattung. Seit Januar 2020 führt Roula Khalaf (57) die Redaktion. Die gebürtige Libanesin ist die erste Frau an der Spitze jenes Blatts, das als Erkennungszeichen der globalen Businesselite gilt, als lachsfarbenes Wertpapier in der Welt der Händler, Zocker und Dealmaker.
SonntagsBlick wollte von Khalaf wissen, was sie zur Rolle ihrer Zeitung im CS-Krimi sagt.
Auf implodierende Geldhäuser dürfte sie vielleicht etwas abgebrühter reagieren als andere. Denn Khalaf wuchs während des Libanesischen Bürgerkriegs in Beirut auf, danach zog sie nach London, wo sie mit ihrem Mann lebt, einem britisch-libanesischen Unternehmer. Als Kriegsreporterin berichtete sie aus dem Irak und Syrien. In ihren 28 Jahren bei der «FT» interviewte sie führende Figuren des Weltgeschehens wie den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (37).
Nach der historischen CS-Pressekonferenz am vergangenen Sonntag legte die «FT» nach. Und schilderte, wie US-Finanzministerin Janet Yellen (76) von Washington aus ihre Schweizer Amtskollegin Karin Keller-Sutter (59) zum gewünschten Resultat steuerte. «Kicking the shit out of the Swiss», zitiert die Zeitung einen Insider über deren Umgang mit den Eidgenossen, was man nicht wirklich nett übersetzen kann. Via «NZZ» bestreitet die Bundesrätin solche Druckversuche, doch ist das nur noch Schadensbegrenzung – der «FT»-Artikel führte die höchsten Schweizer Amtsträger auf offener Bühne vor.
Der Aktienhändler aus Manhattan
Das selbstbewusste Vorpreschen der 1888 gegründeten Wirtschaftszeitung gibt immer wieder Anlass zu Spekulationen über deren Rolle, ihre Quellen und Motive. War es die britische Regierung, die über das Finanzministerium einen direkten Draht zum Verhandlungstisch hatte? London steht in direktem Wettbewerb mit dem Schweizer Finanzplatz und hat entsprechende Interessen.
Ihre vielleicht folgenreichste Story schrieb Khalaf 1991 mit 25 Jahren für das «Forbes»-Magazin. In New York (USA) fiel ihr der ausschweifende Lebensstil eines damals 29-jährigen Aktienhändlers auf. Khalaf verfasste ein Sittengemälde über den Ferrari Testarossa fahrenden Angeber und sein Umfeld: «Steaks, Stocks – What’s the Difference?» (Steaks oder Aktien – wo ist da der Unterschied?). Sie skizzierte ihn als «Robin-Hood-Verschnitt, der von den Reichen nimmt und sich selber und seiner Broker-Bande gibt».
Der junge Mann namens Jordan Belfort wurde daraufhin im Big Apple zur Celebrity-Figur und schrieb später seine Memoiren unter dem Titel «The Wolf of Wall Street». Kultregisseur Martin Scorsese (80) verfilmte den Stoff 2013 im gleichnamigen Streifen mit Leonardo DiCaprio (48) in der Hauptrolle. Kurz taucht darin auch eine unnachgiebige Journalistin auf, über die sich der Filmheld fürchterlich aufregt – natürlich ist damit Khalaf gemeint.
Am Zürcher Paradeplatz spielt die «FT» nicht erst seit letzter Woche eine unverzichtbare Rolle. Beim Abgang von Tidjane Thiam (60) als CS-CEO vor drei Jahren schlug sich das Blatt auf die Seite des Ivorers; bei der entscheidenden VR-Sitzung erfuhr das Publikum jedes Detail bis hin zur Verpflegung (es wurde Pizza geliefert).
Ihr Team arbeite «Tag und Nacht»
Diesen Januar zeigte SonntagsBlick, gestützt auf interne E-Mails, wie routiniert sogar das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) im Austausch mit der Branche auf die «FT» verweist und sich immer wieder bei der Redaktion um direkte Einflussnahme bemüht («Vielen Dank, dass Sie diese Informationen berücksichtigen, wenn Sie wieder mal über den Schweizer Finanzplatz schreiben»).
Am Mittwoch empfing SonntagsBlick eine Stellungnahme der «FT»-Chefin zur CS-Berichterstattung ihres Blatts. Natürlich lässt sie die Frage unbeantwortet, wer die Quellen hinter den Artikeln sind – sie betont aber, dass ihre Redaktion in dem Dossier führend sei, «weil wir hervorragende Reporter haben, die in den Aufbau von Quellen zum europäischen Bankwesen investiert» hätten.
Ihre Kolleginnen und Kollegen arbeiteten als eingespieltes Team und hätten im Fall CS Sonderschichten geschoben: «Unsere Korrespondenten arbeiteten Tag und Nacht.»
Unter Khalaf floriert das Blatt, das seit 2015 der japanischen Nikkei-Gruppe gehört. Die «FT» führte als einer der ersten Titel 2007 die Online-Bezahlschranke ein und erhöht seither kontinuierlich die Preise. Die monatliche Reichweite beträgt 22 Millionen Leserinnen und Leser.
Seit dem CS-Paukenschlag der «FT» vom 18. März kursiert im Netz die züritüütsche Persiflage des berühmten Scorsese-Films. Der heisst jetzt: «Dä Wolf vo dä Bahnhofstrass».