Chinas langer Arm in die Schweiz
«USA wären für die Schweiz ein gutes Modell»

Die Schweiz bemüht sich um engere Beziehungen zu den USA und China. Das spüren auch Tibeterinnen und Uiguren in der Schweiz. Der Bundesrat anerkennt hierzulande zwar nun chinesische Einschüchterungen. Von Massnahmen fehlt jedoch jede Spur, warnen Aktivistinnen.
Publiziert: 25.04.2025 um 23:54 Uhr
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Tibeter und Uigurinnen in der Schweiz erleben chinesische Einschüchterungsversuche. Das anerkennt auch der Bundesrat.
Foto: AFP

Darum gehts

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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Die Schweiz weibelt fleissig. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) und Wirtschaftsminister Guy Parmelin (65) sprachen diese Woche in Washington (USA), während Aussenminister Ignazio Cassis (64) sich am anderen Ende der Welt bei der chinesischen Regierung beliebt machte. Auf der einen Seite geht es um den Zollhammer, auf der anderen unter anderem um den Ausbau des seit 2014 bestehenden Freihandelsabkommens.

Der Bund möchte also gleich beide Grossmächte näher an sich ziehen. Ausgerechnet für die Menschenrechte könnte dies verheerend enden. Denn die Schweiz hat eine der grössten Tibet-Gemeinschaften Europas. Auch leben hierzulande Hunderte Uigurinnen und Uiguren, die die chinesische Provinz Xinjiang verlassen konnten. Sie alle leiden bereits heute unter dem Druck Chinas. Und mit US-Präsident Donald Trump (78) könne sich dies verschlimmern, warnen Kritikerinnen.

Bundesrat anerkennt zumindest chinesische Einmischung

Im Februar musste der Bundesrat nach langem Zögern im Februar endlich zugestehen: Der lange Arm des Reichs der Mitte greift auch hierzulande fleissig ein, um die tibetischen und uigurischen Gemeinschaften einzuschüchtern – mittels Beschattung, Fotos oder direkten Drohungen. Von offizieller Seite wurden diese sogenannten transnationalen Repressionen zuvor kaum beachtet.

Die Tibeterin Tsering Tsomo (48), Forschungsleiterin des Tibetan Centre for Human Rights and Democracy und die tibetische Aktivistin Zumretay Arkin (31), Vizepräsidentin des Weltkongresses der Uiguren, reisten daher aus Australien und Deutschland in die Schweiz, um sich in Bern bei den Behörden endlich ein Gehör zu verschaffen.

Sie empfehlen dem Bund, sich ausgerechnet bei einem der Länder ein Vorbild zu nehmen, die die Landesregierung aktuell zu bezirzen versucht: «Die USA ist für die Schweiz ein gutes Modell.»

Bund will Freihandel ohne Richtlinien für die Menschenrechte

Denn die US-Regierung betrachte es als ganzheitliche Mission, transnationale Repression zu bekämpfen, sagen die beiden. Heisst: die Gemeinschaften, Polizei und nationalen Behörden bis zum Geheimdienst ziehen am selben Strang. «Denn China unterdrückt genauso ganzheitlich», sagt Tsomo zu Blick. Dazu gehöre auch der Austausch mit den Behörden in anderen Ländern.

Mit Trump kommt zwar auch dieses «Erfolgsrezept» unter Druck. «Es ist gut möglich, dass er in den nächsten Monaten alles zerstören wird, was wir in den USA aufgebaut haben», sagt Tsomo. Einen ersten Vorgeschmack gab es bereits: Das Geld für den Weltkongress der Uiguren – die US-Regierung unterstützt den Verband bereits seit Jahren finanziell – froren Tech-Milliardär Elon Musk (53) und sein Department of Government Efficiency bereits im Februar ein.

Die Schweiz hinkt trotzdem weiterhin den USA und auch europäischen Ländern hinterher. Und der Bund sieht im neuen China-Abkommen keinen Platz für konkrete Richtlinien, wie mit Chinas Menschenrechtsverletzungen umgegangen werden soll. Die Organisationen Amnesty International Schweiz, Public Eye und die Gesellschaft für bedrohte Völker fordern daher schon länger eine «rote Linie» in den Verhandlungen. Wenn nötig, wollen sie das Referendum ergreifen.

«Totale Ahnungslosigkeit» bei den Schweizer Behörden

«Viele Tibeterinnen und Uiguren in der Schweiz sagen, dass seit dem wirtschaftlichen Boom in China und besonders seit dem Freihandelsabkommen die Unterstützung deutlich nachgelassen hat», sagt Selina Morell (35), bei der Gesellschaft für bedrohte Völker zuständig für das China-Programm. Seit 2014 gehören geflüchtete Tibeterinnen und Tibeter etwa auf Schweizer Ausweisen offiziell zur Volksrepublik China. «Mir erzählte etwa kürzlich wieder eine Frau, die sich in der Schweiz lange als Tibeterin ausweisen durfte, wie sie urplötzlich zur Chinesin wurde», sagt Morell. 

Gleichzeitig sind Polizei und Behörden mit dem Schutz der tibetischen und uigurischen Gemeinschaften überfordert. Es herrsche «utter cluelessness» – totale Ahnungslosigkeit, bemängeln Tsomo und Arkin nach ihrem Besuch. Und auch die Gemeinschaften selbst hätten sich mittlerweile zu stark einschüchtern lassen. «Die Diaspora ist für die Situation mitverantwortlich», sagt Tsomo. Nun brauche es durch den Bundesrat nicht nur Solidarität, sondern auch konkrete Massnahmen.

Der Bundesrat liess immerhin ein paar mögliche Massnahmen durchscheinen. Eine, die sich bereits sehr konkret abzeichnet, ist ein neues Gesetz, das in Bundesbern aktuell ausgearbeitet wird. Es soll dem Bund zukünftig ermöglichen, ausländische Technologiekonzerne aus kritischen Infrastrukturen zu verbannen – sofern sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit sein könnten.

Wird Chinas Arm bald noch länger?

Darunter könnten auch chinesische Hersteller fallen, wie etwa der 5G-Zulieferer Huawei. In den USA und der EU ist der Konzern bereits stark unter Druck. Für Tsomo und Arkin ist klar, dass er in Europa kaum so unabhängig ist, wie er tut. «Untersuchungen zeigen, dass auch die hiesigen Ableger eng mit China verbunden sind», sagt Arkin. «Und dort werden dieselben Technologien verwendet, um Uiguren auszuspionieren.»

Mit dem jetzigen Handelskrieg sucht jedoch China ausgerechnet die Nähe Europas. Nach der Schweiz könnte also auch die EU ihre Beziehungen zum chinesischen Machthaber Xi Jinping (71) verbessern. Wird der lange Arm also noch länger? «Ich schaue hoffnungsvoll in die Zukunft», sagt Tsomo. Denn Europa erhalte dank Trump auch mehr Unabhängigkeit – und damit mehr Willen, seine demokratischen Prinzipien zu schützen.

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