Die Schweiz ist zurück in der Normalität. Am Freitag fallen auch die letzten Corona-Massnahmen. «Nach zwei Jahren Pandemie können wir mit Zuversicht in die Zukunft blicken», sagte Gesundheitsminister Alain Berset (49) am Mittwoch vor den Medien. Denn die Lage in den Spitälern ist und bleibt stabil.
Die Erleichterung war Berset anzusehen. Denn mit dem grossen Öffnungsschritt Mitte Februar, als bereits die meisten Schutzmassnahmen in Innenräumen, an Veranstaltungen oder privaten Festen aufgehoben wurden, hat der Bundesrat hoch gepokert. Nun streicht er den Pott ein: Nach einem temporären Anstieg der Fallzahlen sind sie nun klar im Sinkflug.
Über zwei Jahre dominierte die Corona-Pandemie den politischen Alltag in Bundesbern. Lockdowns, Einschränkungen, Obergrenzen, Öffnungsschritte, Wirtschaftshilfen, Einreisebeschränkungen, Quarantänebestimmungen, Homeoffice-Vorgaben, Impfkampagnen, BAG-Faxe und Covid-Apps – all das und noch mehr liess die Köpfe in Bundesbern rauchen.
Und über alles gesehen hatte das Erfolg: Die Schweiz kam, zumindest im internationalen Vergleich, mehr als gut durch die Krise. Trotz eines liberalen Kurses brach das Gesundheitssystem nicht zusammen – und wegen des liberalen Regimes fielen die wirtschaftlichen Folgen deutlich weniger dramatisch aus als in vielen anderen Staaten.
Ganz spurlos ging das am Bundesrat nicht vorbei – das Klima in der Landesregierung sei von Misstrauen geprägt, die Zusammenarbeit habe zeitweise sehr geharzt. Doch nun ist es für den Moment ausgestanden. Und Blick zieht Bilanz, wie sich die sieben in der Krise geschlagen haben.
Alain Berset – der Pandemie-Manager
«Bleiben Sie zu Hause.» Er war das Gesicht der Pandemie. Tag für Tag, Woche für Woche hat SP-Bundesrat Alain Berset (49) seinen Kopf hingehalten. Als Gesundheitsminister hat er die Corona-Politik geprägt.
In der Regierung wie auch gegenüber den Kantonen konnte er sich meist durchsetzen, musste dann gegenüber der Bevölkerung aber auch dafür geradestehen. Und sah sich sogar mit Diktator-Vorwürfen konfrontiert.
Oft aber wurden Berset und sein Bundesamt für Gesundheit (BAG) von der Entwicklung überrascht – und das trotz ganz genauem Beobachten. So geriet die Schweiz etwa im Herbst 2020 völlig unvorbereitet in die zweite Welle. Auch sein BAG stand mit seinen Fax-Geräten nicht immer gut da und verstrickte sich manchmal sogar in Widersprüche – etwa beim Nutzen von Schutzmasken. Zudem war die nationale Impfwoche eine Pleite.
Viola Amherd – die Mobilmacherin
Mitte-Verteidigungsministerin Viola Amherd (59) stand Gewehr bei Fuss. Rasch und unkompliziert hat sie hilfesuchenden Kantonen Tausende Soldatinnen und Soldaten geschickt. Nicht ohne Stolz wies die Armee auf die grösste Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg hin. Die Krise als Chance: Gerade im Ringen um den umstrittenen US-Kampfjet F-35 sollte die Pandemie auch zur Imageaufbesserung der Armee genutzt werden.
Der Plan ist nicht so aufgegangen wie erhofft. Allem guten Willen zum Trotz konnten die Spitäler die Sanitätssoldaten kaum brauchen. Statt zu helfen, sassen die Armeeangehörigen meist tatenlos herum. Die Mobilmachung als Rohrkrepierer. Auch Amherds Armeeapotheke hat nicht immer brilliert: So wurden etwa unbrauchbare Schrottmasken eingekauft – und das teilweise zu Wucherpreisen. Immerhin machte sie bei der Impfstoff-Logistik gute Figur.
Guy Parmelin – der Impf-Promoter
In seinem Präsidialjahr 2021 zeigte sich SVP-Bundesrat Guy Parmelin (62) von einer überraschend staatsmännischen Seite. Er stellte sich schützend vor Berset, als die SVP diesen als «Diktator» beschimpfte. Und die Corona-Impfung erklärte er zum «acte citoyen» – quasi zur Bürgerpflicht. Auch wenn er bei den Schutzmassnahmen öfter auf die Bremse trat, trug er die Entscheide kollegial mit.
Als Wirtschaftsminister hingegen stand er unter dem ordoliberalen Einfluss des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), das die Krise als Gelegenheit zur Strukturbereinigung sah. Es brauchte das Drängen von Arbeitgebern und Gewerkschaften, damit Parmelin der Ernst der Lage bewusst wurde. Ein gelockertes Kurzarbeit-Regime stützte Betriebe und Arbeitnehmende und verhinderte so grössere Verwerfungen.
Simonetta Sommaruga – die Besorgte
«Es muss ein Ruck durchs Land gehen.» Als Bundespräsidentin versuchte Simonetta Sommaruga (61), im ersten Corona-Jahr die Rolle der Landesmutter einzunehmen. Sie wollte einen – gerade auch, als das Kompetenzengerangel zwischen Bund und Kantonen seinen Höhepunkt erreicht hatte und die Fallzahlen im Herbst 2020 stiegen und stiegen.
Gleichzeitig aber wirkte die SP-Bundesrätin immer etwas gehetzt, als personifizierte Besorgnis. Im Bundesrat soll Sommaruga denn auch meist zur vorsichtigen Fraktion gehört haben.
Nach ihrem Präsidialjahr verschwand sie in der Versenkung. Als Umwelt-, Verkehrs- und Energieministerin hatte sie allerdings auch kaum direkt mit den Corona-Massnahmen zu tun.
Ignazio Cassis – der Touristen-Retter
Der grosse Moment von Aussenminister Ignazio Cassis (60) war gleich zu Beginn der Corona-Krise: In einer beispiellosen Rückholaktion brachte das EDA Tausende in der ganzen Welt gestrandete Touristen notfallmässig nach Hause. Zudem stockte Cassis die humanitäre Corona-Hilfe deutlich auf.
Danach wurde es ruhig um ihn. Obwohl als ehemaliger Tessiner Kantonsarzt dafür prädestiniert, ist nicht überliefert, dass sein medizinisches Fachwissen im Bundesrat eine besondere Rolle gespielt hätte. Persönlich liess er sich aber durchaus von medizinischen Gesichtspunkten leiten, sodass er härtere Massnahmen auch gegen den Willen seiner FDP mittrug.
Sein erster Corona-Auftritt als Bundespräsident geriet zum Debakel: Just nachdem er das weitgehende Ende der Corona-Massnahmen verkündet hatte, wurde Cassis positiv auf das Virus getestet.
Karin Keller-Sutter – die Grenzgängerin
Als Justizministerin machte FDP-Frau Karin Keller-Sutter (58) im Frühling 2020 die Grenzen dicht. Natürlich gab es Ausnahmen wie etwa für Grenzgänger. Doch der Entscheid trennte während Wochen Familien und Paare und führte zu skurrilen Szenen an den Grenzzäunen. Ansonsten beschäftigte sich Keller-Sutter mit viel rechtlicher Kleinarbeit, so wurden etwa Konkursfristen ausgesetzt oder Gerichtsferien verlängert.
Bei den Corona-Massnahmen rückte sie die Gesamtverantwortung für das Land in den Vordergrund, anstatt als Liberale auf rasche Lockerungen zu drücken. Doch gerade auch aus wirtschaftlichen Überlegungen verfolgte sie ein zwar langsameres, dafür aber beständigeres Vorgehen, um so ein schädliches Lockdown-Hin-und-Her zu verhindern.
Ueli Maurer – der Querschläger
Um das Corona-Kreditprogramm für notleidende Firmen haben uns viele Länder beneidet. Innert weniger Tage hatte Finanzminister Ueli Maurer (71) im Frühling 2020 zusammen mit den Banken ein milliardenschweres Hilfspaket aus dem Boden gestampft. Es ist das grösste Rettungsprogramm der Schweizer Geschichte. Maurer trat euphorisch auf – und das zu Recht.
Seine Vorbildrolle in der Krise aber hat der SVP-Bundesrat nie wahrgenommen, nie wahrnehmen wollen. Im Gegenteil: Statt als Teil einer geeinten Landesregierung aufzutreten, hat Maurer keine Gelegenheit zur Provokation ausgelassen. Er trat im Trychler-Hemd auf, hatte auf die Covid-App «kä Luscht», murrte gegen die Impfung und trat das Kollegialitätsprinzip mit Füssen, indem er mehrfach die Corona-Politik des Gesamtbundesrats kritisierte.