Auf einen Blick
- Bundespräsidentin Keller-Sutter erlebt Anschlag in München aus dem Auto
- Grosse Ratlosigkeit über fehlende Kontakte zu US-Administration
- EU soll Schweiz bei Zoll-Gegenmassnahmen nicht als Drittstaat betrachten
Es ist das Ende einer aufwühlenden Reise für Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61, FDP), als sie auf dem Weg zum Flughafen mit Blick telefoniert: Am Donnerstagvormittag ist die Bundesrätin nach München gereist. Doch als sie in die Stadt hineinfährt, stoppt ihr bewachter Autokonvoi plötzlich. «Das ist ungewöhnlich, normalerweise fahren wir durch, weil wir von der Polizei begleitet werden», erzählt sie. «Plötzlich hiess es, dass in einer Nebenstrasse etwas passiert sei. Ein Auto sei in eine Menschenmenge gefahren, es seien Schüsse gefallen.»
Das ganze Ausmass wird die Bundesrätin erst später erfahren. Mindestens 36 Menschen wurden beim mutmasslichen Anschlag in der Münchner Innenstadt verletzt, ein Teil davon schwer. «Es gibt keine Worte, um das zu beschreiben. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien», sagt sie hörbar betroffen. Solche Taten zeige die Verletzlichkeit – auch in der Schweiz. «Dass wir bislang vor grösseren Anschlägen verschont wurden, war vielleicht einfach Glück. Wir können ja nicht jede Strasse absperren.»
Grosse Ratlosigkeit
Der Anschlag begleitet sie dann auch während der Münchner Sicherheitskonferenz. Zusammen mit Verteidigungsministerin Viola Amherd (62, Mitte) vertritt sie dort die Schweiz. Grosses Thema: die USA unter dem neuen und alten Präsidenten Donald Trump. «Es ist noch immer die gleiche Ratlosigkeit wie am Weltwirtschaftsforum in Davos», sagt Keller-Sutter. «Ich war vor allem erstaunt, dass auch sehr hochrangige Gesprächspartner keine Kontakte zur US-Administration hatten. Es waren alle ratlos.»
Trump kommuniziert lieber über TV statt über die diplomatischen Kanäle. Am Donnerstag kündigte er eine neue Initiative für Friedensverhandlungen im Krieg um die Ukraine an. «Es ist gut, dass die USA und Russland miteinander sprechen. Aber um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu haben, muss man Europa und die Ukraine einbeziehen», sagt Keller-Sutter.
Die Schweiz könnte einen allfälligen Friedensprozess begleiten, ist Keller-Sutter überzeugt. «Wir stehen zur Verfügung, wenn wir gebraucht werden. Es gab ja auch die Schutzmacht-Anfrage der Ukraine», erinnert sie. Für einen zweiten Friedensgipfel sei es aber noch zu früh. «Momentan müssen die Details und die Folgen von Trumps Friedensinitiative genau geprüft werden.»
Ein Handschlag mit Merz
An der Münchner Sicherheitskonferenz treffen sich Spitzenpolitiker aus verschiedenen Ländern in Deutschland. So führte Keller-Sutter auch Gespräche mit dem finnischen Präsidenten oder der kosovarischen Präsidentin Vjosa Osmani (42). «Wichtig sind aber auch die ungeplanten Treffen», erklärt Keller-Sutter. «Als Schweizerin ist man ja immer fünf Minuten zu früh da. So können sich auch spannende Begegnungen ergeben, zum Beispiel ein Handschlag mit dem deutschen CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz.»
Wichtig war aber auch ein Gespräch mit dem EU-Ratspräsidenten António Costa (63). Ein Thema dabei waren die Zölle, die US-Präsident Trump in dieser Woche androhte. «Sollte die EU Gegenmassnahmen ergreifen, erwarte ich, dass die Schweiz nicht als Drittstaat behandelt wird», erklärt die Finanzministerin. Während der ersten Amtszeit Trumps wurde die Schweiz zum Beispiel beim Stahl als Drittstaat betrachtet. Zwar konnte sie innerhalb eines Kontingents noch exportieren, doch war das aufgebraucht, musste auch die Schweiz zahlen.
«Jetzt, nachdem die materiellen Verhandlungen über ein neues Abkommen mit der EU abgeschlossen wurden, würde man eine solche Massnahme in der Schweiz nicht verstehen», sagt Keller-Sutter. Sie gibt sich zuversichtlich. «Ich glaube, dass diese Botschaft auf Seite der EU verstanden wurde.»