Volksinitiativen bedroht
Misstrauen auf der Strasse wächst wegen gefälschter Unterschriften

Der Unterschriftenbetrug hat für viele Schlagzeilen gesorgt – und bedroht nun die Demokratie-Initiative. Das Komitee berichtet von einem drastischen Rückgang der Unterschriften. Auch andere Initiativen spüren den Gegenwind und kämpfen mit Misstrauen bei der Bevölkerung.
Publiziert: 04.10.2024 um 08:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2024 um 15:57 Uhr
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Der Unterschriften-Betrug steigert das Misstrauen auf der Strasse.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Demokratie-Initiative kämpft mit Unterschriften-Bschiss
  • Misstrauen auf der Strasse wegen gefälschter Unterschriften
  • Auch andere Initiativen spüren die Skepsis
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Es ist ein Hilferuf aus einem gebeutelten Komitee: Der Demokratie-Initiative droht auf den letzten Metern der Schnauf auszugehen. Der Grund sei der Unterschriften-Bschiss, melden die Initianten. Kommerzielle Unternehmen sollen beim Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen betrogen haben, war anfangs September bekanntgeworden. Es geht um Tausende gefälschte Unterschriften.

«Wir haben im letzten Monat nur halb so viele Unterschriften gesammelt, wie im gleichen Zeitraum zuvor», sagt Arbër Bullakaj (38), Co-Präsident der Aktion Vierviertel. Der Verein lancierte im Mai 2023 die Initiative, die jenem Viertel der Bevölkerung in der Schweiz, der nicht eingebürgert ist, nach fünf Jahren den Schweizer Pass ermöglichen will. Ende Juli läuteten beim Komitee bereits die Alarmglocken: Für das linke Anliegen würden noch rund 30'000 Unterschriften fehlen. Im November endet die Sammelfrist.

Passanten brechen Gespräche ab

Nach vielversprechendem August harzt es jetzt jedoch. Der mutmassliche Wahlbetrug durch Sammler-Unternehmen fördere das Misstrauen auf der Strasse. «Wir wären längst über unserem Ziel, wenn das nicht gekommen wäre», sagt Bullakaj.

Auch andere Volksbegehren spüren den Gegenwind. «Die ersten zwei Septemberwochen waren schlimm», sagt Elias Vogt (28), der gleich mit zwei Initiativen gegen Windturbinen kämpft. Viele Passantinnen und Passanten hätten die Gespräche gleich zu Beginn abgebrochen, statt die Initiativen für den Wald- und Gemeindeschutz zu unterschreiben: «Wir sammelten rund 2000 Unterschriften weniger als normal.»

Mit Hoodies gegen den Unterschriftenschwund

Mittlerweile habe das Komitee Massnahmen getroffen, die nützen sollen: Auf Hoodies, Ständen, Plakaten und Anhängern prangen neu möglichst prominent die Logos des Anliegens. «So ist den Leuten klar, wer der Absender ist», sagt Vogt.

Bei den grossen Parteien ist die Besorgnis geringer. «Wir beobachten auf der Strasse mehr Skepsis», sagt Rahel Estermann (37), Generalsekretärin der Grünen. Die Partei sammelt aktuell für ihre Solarinitiative. So schlimm wie bei Vierviertel und den Windradgegnern sei es aber längst nicht. «Es läuft gut, das Interesse der Bevölkerung am Anliegen ist weiterhin gross», sagt Estermann.

Mehr Glaubwürdigkeit bei den grossen Parteien

Estermann hat einen Verdacht, weshalb es bei den Grünen besser läuft: «Bei uns sind die Sammlerinnen und Sammler meist als Mitglieder unserer Partei erkennbar. Man weiss, dass wir nicht für Unterschriften bezahlen.» Dadurch komme bei den Menschen auch nicht der Verdacht auf, dass dubiose Unternehmen am Werk seien. Das sei bei parteiunabhängigen Initiativen schwieriger.

Noch weniger Sorgen macht sich die SVP. Ihre Grenzschutz-Initiative sei auf Kurs, teilt Sprecherin Andrea Sommer mit: «Weil wir eine hoch motivierte Basis haben, ist das Sammeln kein Problem.»

Kaum mehr Unterschriftensammlungen auf der Strasse

Für Bullakaj sind die Schwierigkeiten bei den parteiunabhängigen Initiativen auch ein Ausdruck des Budgets: «Freiwillige Sammler, so wie wir sie haben, gibt es fast nicht mehr.» Oftmals werde heute über Inserate und Mitgliederaufrufe mobilisiert, statt auf der Strasse zu sammeln. Deshalb sei die Demokratie-Initiative der Skepsis der Bevölkerung auch mehr ausgeliefert.

Auch Vogt stimmt dem teilweise zu, sagt aber auch: «Die Interessensgruppen, die bisher mit bezahlten Unterschriften gearbeitet haben, leiden noch viel mehr darunter.» Nur würden sie das wohl kaum zugeben wollen.

Er stehe momentan regelmässig im Austausch mit der Bundeskanzlei, sagt Vogt. Und Ende Oktober soll mit Parteien, Verbänden, Komitees, Sammelorganisationen und Behörden ein runder Tisch stattfinden. Für die Demokratie-Initiative ist dies nur eine Randnotiz: Um erfolgreich einzureichen, müssten Bullakaj und sein Komitee bis dahin die fehlenden Unterschriften wohl bereits im Sack haben.

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