Schwarze Frauen in der Schweiz
«Wir werden als fremd im eigenen Land angeschaut»

Im Zuge der Rassismusdebatte treten Schwarze Frauen in den Vordergrund. Sie kritisieren den Umgang der Gesellschaft mit ihnen. Und fordern Anerkennung.
Publiziert: 12.07.2020 um 01:47 Uhr
|
Aktualisiert: 12.07.2020 um 11:54 Uhr
1/10
Die Soziokulturelle Animatorin Rahel El-Maawi (43, rechts) und die Kommunikationswissenschaftlerin Yuvviki Dioh (28) kritisieren den Umgang mit Schwarzen Frauen in der Schweiz.
Foto: Siggi Bucher
Dana Liechti

Die «Black Lives Matter»-­Proteste der letzten Wochen, die ersten Pride-­Demos, #MeToo, Body Positivity: All diese Bewegungen, die Dis­kriminierung, Machtmissbrauch oder ­negative Rollenbilder ins Zentrum rücken, um für mehr Gerechtigkeit und Wertschätzung zu ­sorgen, sind von Schwarzen Frauen angestossen worden. Dass das oft vergessen geht, überrascht Rahel El-Maawi und Yuvviki Dioh nicht. Sie sagen: Auch hierzulande fehlt es Schwarzen Frauen an Repräsentation und Anerkennung. Wir trafen die beiden in Zürich zum Gespräch.

Wie sichtbar sind Schwarze Frauen in der Schweiz?
Yuvviki Dioh: Kaum. Es ist, als wären wir gar nicht da. Und wenn wir irgendwo auftauchen, dann meist als «die anderen», nicht als Teil der Schweiz. Gleichzeitig sind die Bilder, die von uns reproduziert werden, sehr einseitig.

Inwiefern?
Dioh: Schwarze Frauen werden oft sexualisiert dargestellt. Oder als die starke, wütende Frau, bei der man aufpassen muss, was man sagt. Das wird unserer ­grossen Diversität nicht gerecht und schadet uns.

Der Frauenstreik kämpft gegen solche Vorurteile. Aber Sie sagen: Auch dort werden Schwarze Frauen vergessen.
Dioh:
Ja, als ich am Frauenstreik teilnahm, habe ich fast keine Schwarzen Menschen gesehen. Viele fühlten sich wohl nicht angesprochen. Nur in wenigen Kollektiven findet eine Inklusion (Einschluss; Red.) statt.
Rahel El-Maawi: Die feminis­tische Bewegung muss heraus­finden, wie sie die Stimmen von Schwarzen Frauen und Frauen of Color einbindet. Wir kämpfen nicht nur auf der Ebene der Gleichstellung, sondern auch mit rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, am ­Arbeitsplatz und in gewissen Gesetzgebungen. Auch im Gesundheitsbereich lassen sich beispielsweise rassistische Praktiken finden. So wissen wir heute, dass ­gebärende Schwarze Frauen ­weniger medizinische Unterstützung erhalten, bei Untersuchungen oder Operationen weniger Schmerz- und Narkosemittel. Der Grund dafür sind uralte Denkmuster: Man glaubt, Schwarze Menschen halten viel mehr aus.

Warum wäre die Sichtbarkeit Schwarzer Frauen sonst noch wichtig?
El-Maawi:
Weil Vorbilder für Schwarze Kinder fehlen. Für sie ist es schwierig, einen Platz in ­einer Gesellschaft zu finden. Denn obwohl Schwarze Menschen seit Jahrhunderten hier ­leben, hat man das Gefühl, die Schweiz sei ausschliesslich weiss.
Dioh: Auch ich sah in meiner Kindheit kaum jemanden, der so aussieht wie ich. Weder beim Spielzeug, noch in Bilderbüchern oder Unterrichtsmaterialien.

Als Vorbild hätte Ihnen Tilo Frey dienen können. Die FDP-Politikerin war eine der ersten Frauen, die 1971 in den Nationalrat gewählt wurden.
Dioh:
Genau! Aber ich habe keine Erinnerung daran, dass ich in der Schule oder sonst irgendwo etwas über sie gelernt hätte.
El-Maawi: Mit der Forschung von Jovita dos Santos Pinto wurde Frey wieder ins Bewusstsein gebracht. Ihr Beispiel zeigt, dass man die Geschichte von Schwarzen Menschen in der Schweiz einfach ausradiert. Man behält die Leute nicht im Gedächtnis. Das ist kein Zufall. Es gibt beispielsweise auch seit Mitte der 90er-Jahre Schwarze Moderatorinnen im Schweizer Fernsehen. Trotzdem heisst es bei allen neuen wieder, sie seien die ersten. Man will das Idealbild der weissen Schweiz ­unbedingt aufrechterhalten. Die anderen Menschen sind nur ­temporär da.

Das hat Folgen.
Dioh: Wir werden als fremd im ­eigenen Land betrachtet – seit ­Generationen. Es ist schmerzhaft, die eigene Identität und Zuge­hörigkeit dauernd rechtfertigen zu müssen. Das zugeschriebene «Fremdsein» kann dazu führen, dass uns der Zugang zu Jobs, Wohnungen und mehr erschwert wird.
El-Maawi: Das Interessante ist, dass wir jene Teile unserer ­Geschichte, die Schwarze Menschen ermächtigen, zum Beispiel die Wahl Tilo Freys, aus unserem kollektiven Gedächtnis streichen, gleichzeitig aber rassistische Geschichte aufrechterhalten. Etwa in Form von Namensgebungen, Statuen oder der vorherrschenden Meinung, die Schweiz sei nicht an Kolonialismus und Sklavenhandel beteiligt gewesen. Dabei steckt in unseren Gemäuern erwirtschafteter Reichtum von Plantagen, auf denen versklavte Menschen gehalten wurden. Aber was Rassismus angeht, tragen wir in der Schweiz Scheuklappen.

Niemand will damit in Verbindung gebracht werden.
Dioh:
Ja, und das bringt uns nicht weiter. Wenn eine Person etwas Rassistisches sagt oder tut, muss ich häufig länger darüber dis­kutieren, ob es nun fair ist, das Verhalten dieser Person als rassistisch zu bezeichnen, als über den Vorfall selbst – also meine Verletzung durch ihn. Das hängt sehr stark damit zusammen, dass Rassismus als Charaktereigenschaft verstanden wird. Aber das ist er nicht.

Sondern?
Dioh: Rassismus ist eine gesellschaftliche Struktur. Er ist schon da, wenn wir geboren werden. Wir können rassistisches Ver­halten nur dann durchbrechen, wenn wir einsehen, dass wir so gehandelt haben, weil wir eben rassistisch sozialisiert sind.
El-Maawi: Wir können einen viel besseren Umgang schaffen, indem wir rassistische Unterscheidungen und Bewertungen hinterfragen und verlernen und uns ­antirassistisch positionieren. Das heisst, immer zu intervenieren, wenn sich jemand rassistisch verhält.

Persönlich: Yuvviki Dioh

Yuvviki Dioh (28) ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der Uni Zürich. Nebenbei engagiert sie sich im Kollektiv BIPOC.WOC – ein Kollektiv von Black, Indigenous and People of Color sowie Women of Color. Sie lebt in Zürich.

Siggi Bucher

Yuvviki Dioh (28) ist Doktorandin am Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung der Uni Zürich. Nebenbei engagiert sie sich im Kollektiv BIPOC.WOC – ein Kollektiv von Black, Indigenous and People of Color sowie Women of Color. Sie lebt in Zürich.

Persönlich: Rahel El-Maawi

Rahel El-Maawi (43) ist Dozentin für Soziokultur, Bewegungsforscherin und Prozessbegleiterin für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Zudem ist sie Mitgründerin von Bla*Sh, einem Netzwerk schwarzer Frauen in der Schweiz. El-Maawi wohnt in Zürich.

Siggi Bucher

Rahel El-Maawi (43) ist Dozentin für Soziokultur, Bewegungsforscherin und Prozessbegleiterin für diversitätsorientierte Organisationsentwicklung. Zudem ist sie Mitgründerin von Bla*Sh, einem Netzwerk schwarzer Frauen in der Schweiz. El-Maawi wohnt in Zürich.

Warum wird «Schwarz» hier grossgeschrieben?

Der Begriff «Schwarz» wird in diesem Interview gross geschrieben, weil er eine Selbstbezeichnung Schwarzer Personen ist, die sich nicht auf die reelle Hautfarbe bezieht, sondern darauf, wie die Menschen in der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden. Ausserdem benennt der Begriff gemeinsame Rassismuserfahrung.

Der Begriff «Schwarz» wird in diesem Interview gross geschrieben, weil er eine Selbstbezeichnung Schwarzer Personen ist, die sich nicht auf die reelle Hautfarbe bezieht, sondern darauf, wie die Menschen in der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden. Ausserdem benennt der Begriff gemeinsame Rassismuserfahrung.

Fehler gefunden? Jetzt melden