Olga Madjinodji (32), Aktivistin und Sozialarbeiterin für Asylsuchende aus Biel: «Ich will den Flüchtlingen Hoffnung geben»
An der Black-Lives-Matter-Demo in Biel sprach ich ins Mikrofon. Aus Solidarität mit den Schwarzen Menschen in den USA. Meine erste Erfahrung mit Rassismus machte ich 1991 als Fünfjährige in der Romandie: Die anderen Kinder schauten mich an, lachten und sagten, ich sei so braun wie Kacka. Meine Eltern und wir vier Kinder waren gerade aus dem Tschad in die Schweiz gekommen. Ein Machtwechsel hatte uns zu politischen Flüchtlingen gemacht. Von Anfang an vermittelten mir die Menschen hier, ich sei anders. Besonders im Gymi. Die anderen machten sich über meine Haare lustig, sie seien wie Teppich, ungepflegt. Ich passte mich an: Zuerst glättete ich sie, danach habe ich Zöpfe geflochten – Hauptsache kein Afro. Heute trage ich meine Haare ganz kurz und fühle mich frei. Wenn jemand sagt, ich sei so schön wie eine Löwin, versetzt mir das einen Stich – auch wenn es nicht böse gemeint ist. Schwarze Frauen werden exotisiert, auch wenn viele den Schweizer Pass haben – wie ich.
Auf die Rassismuserfahrungen würde ich gerne verzichten, sie haben mich aber auch stark gemacht. Unsere Eltern lehrten uns: Als Schwarze Menschen müssen wir doppelt so hart arbeiten wie die Weissen, um etwas zu erreichen. Das habe ich getan. Nach dem Gymi studierte ich Soziologie in Lausanne, ich wollte im Asylwesen arbeiten. Heute berate ich Asylsuchende. Ich will den Flüchtlingen Hoffnung geben. Ihnen zeigen, dass man es in der Schweiz als Schwarze Person zu etwas bringen kann.
Überhaupt interessiere ich mich für Politik. Gerade habe ich hier in Biel, wo ich wohne, ein afrofeministisches Netzwerk gegründet. Und ich engagiere mich beim Frauenstreik. Meine Liebe gehört aber der Malerei, vor allem der Aquarellmalerei. Ein Kunststudium kam früher nicht in Frage. Ich traute mir das nicht zu. Jetzt arbeite ich auf eine eigene Ausstellung hin.
Brandy Butler (40), Aktivistin und Künstlerin aus Zürich: «Jetzt kommt Wut hoch»
Die aktuelle Debatte beschäftigt mich. Sie gibt mir Energie, letzte Woche organisierte ich viele Masken für die Demo in Zürich. Aber ich schlafe auch schlecht, weil Wut hochkommt. Vor vier Jahren unterstützte ich eine Petition gegen rassistische Namen von Süssigkeiten wie Schokoküsse. Ich erhielt Morddrohungen, das war schlimm genug. Als ich zur Polizei ging, zweifelten sie daran, dass es Morddrohungen waren, und protokollierten zuerst nicht, dass es um Rassismus geht. Das ist aber wichtig, sonst taucht der Fall nicht in der Rassismusstatistik auf. Wenn ich in der Schweiz Rassismus anspreche, reagieren viele verärgert. Die Schweiz hat sich noch zu wenig mit ihrer kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt. In den USA hatten wir eine Bürgerrechtsbewegung, und über Diskriminierung von Schwarzen Menschen wird öffentlich diskutiert.
Ich bin in Pennsylvania aufgewachsen. Meine Mutter ist weiss, mein Vater schwarz. Sie haben zusammen gegen Rassismus gekämpft. Sie waren Vorbilder, brachten uns bei, dass man alle Menschen achten muss. Und mein Vater zeigte uns die kulturellen Errungenschaften der Black Community: Wir hörten uns die Musik von Motown und Jazz an. Er erklärte mir, wie Schwarze Menschen ihr Trauma durch Musik in Freude verwandelt haben. Jazz studierte ich dann.
Vor 16 Jahren kam ich als Au-pair in die Schweiz. Wenige Wochen später habe ich schon auf Schweizerdeutsch geträumt. Die Sprache steht mir sehr gut, finde ich! Ich fühle mich verbunden mit dem Land: Hier kann ich Kunst machen, Kinder in Musik unterrichten und politisch aktiv sein – meine Leidenschaften. In der Schweiz erleben wir gerade einen einmaligen Moment: Zum ersten Mal wird der Rassismus benannt und nicht verleugnet. Jetzt müssen wir Schwarzen Menschen über unsere Erfahrungen sprechen, Forderungen stellen und das System verändern für uns und für andere People of Color. Endlich ist der Moment gekommen.
Mandy Abou Shoak (30), Aktivistin und Sozialpädagogin aus Zürich: «Wir alle müssen Rassismus verlernen»
Ich sehe mich als Teil einer Menschenrechtsbewegung gegen Rassismus. Das war schon vor der aktuellen Black-Lives-Matter-Debatte so. Auch wenn ich mich dort ebenfalls engagiere. Wir alle müssen Rassismus verlernen. Diese Tatsache ist Teil meines aktuellen Masterstudiums Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Wir werden in eine rassistische Gesellschaft hineingeboren. Wer nichts aktiv dagegen tut, bleibt rassistisch. Das möchte ich den Menschen bewusst machen.
Gerade analysiere ich mit einer Kollegin die Schulbücher auf rassistische Vorurteile hin – das wird von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes mitfinanziert. Die Schwarzen Menschen werden oft abwertend dargestellt. Kaum ein Buch handelt davon, dass Sklaven gegen die Unterwerfung Widerstand geleistet haben, zum Beispiel in Haiti. Unsere Analyse zeigt, wie Menschen Rassismus über Schulbücher lernen – struktureller Rassismus nennt man das.
Eine Auseinandersetzung mit Rassismus bedeutet immer auch eine mit weissen Privilegien. Die Schweiz steckt da noch in den Kinderschuhen. Die meisten sind sich einig, dass Männer gegenüber Frauen bevorteilt werden. Aber viele streiten ab, dass es eine Diskriminierung von Schwarzen Menschen gibt. Wenn ich mich heute wehre und sage, dass ein Witz über Schwarze Menschen rassistisch ist, bekomme ich zu hören: Ich kenne Schwarze Menschen, die ihn lustig finden.
Viele sind überrascht, wenn ich erzähle, dass wir aus dem Sudan geflüchtet sind. Mein Vater ist Journalist, meine Mutter Zahnärztin, und mein Bruder ist Arzt. Meine Eltern brachten mir bei, mich für Gerechtigkeit einzusetzen. Deshalb kämpfe ich gegen Rassismus.