Was Wermuth von Scholz lernen kann
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Erfolgreiche Sozialdemokratie:Was Wermuth von Scholz lernen kann

BlickPunkt über die Wiedergeburt der Sozialdemokratie
Was Wermuth von Scholz lernen kann

Olaf Scholz, vermutlich Deutschlands nächster Bundeskanzler, führte seine Partei aus dem Elend – direkt zum Wahlsieg. Statt Selfies mit ihm zu machen, sollte sich Cédric Wermuth ein Beispiel an diesem Genossen nehmen.
Publiziert: 02.10.2021 um 01:25 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2021 um 18:09 Uhr
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Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Einen solchen Wahlkampf hat Deutschland noch nie erlebt. Vor ein paar Monaten versank die SPD im historischen Umfrage-Tief: 12 Prozent Wähleranteil. Dann die Sensation. Am Sonntag wurde sie mit 25,7 Prozent stärkste politische Kraft.

Der Erfolg hat einen Namen: Olaf Scholz (63).

Er glaubte bis zuletzt an den Sieg – und hatte das Glück, dass die Grüne Annalena Baerbock (40) verbockte, was eine Kanzlerkandidatin verbocken kann, dass CDU-Mann Armin Laschet (60) in jeden Fettnapf trat, der einem Kanzlerkandidaten drohen kann.

Scholz ist ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn. Er vertritt die sozialdemokratischen Werte, war SPD-Generalsekretär unter dem früheren Kanzler Gerhard Schröder (77), dann Bürgermeister von Hamburg, Vizekanzler und Finanzminister.

Doch in der eigenen Partei war Scholz jahrelang bestenfalls geduldet. Die Genossen machten ihn nur zum Kanzlerkandidaten, weil er aus Umfragen regelmässig als beliebtester SPD-Politiker hervorging – und weil ohnehin niemand ernsthaft glaubte, dass er Kanzler werden könnte.

Denn die SPD ist nicht mehr die SPD von einst. Sie wird heute weitgehend von jungen, weit links stehenden Klassenkämpfern dominiert. Sie beschäftigen sich lieber mit Migrantenrechten, Gendersprache und LGBTQA+ als mit den Alltagssorgen der Bürgerinnen und Bürger.

Auch die SP Schweiz hat sich von der Arbeiter- zur Intellektuellenpartei gewandelt. Kein Zweifel: Ihr Co-Präsident Cédric Wermuth (35) ist ein begabter Rhetoriker und von hoher politischer Intelligenz. Doch auf dem direkten Weg von der Uni in den Nationalrat hat er keinerlei praktische Erfahrung gesammelt – weder im Beruf noch in einem Regierungsamt. Kein Wunder, setzte er sich kürzlich in einem Interview für Menschen ein, «die jeden Tag um acht Uhr morgens aufstehen».

Wermuths Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus – vermutlich auch nicht gerade das, was viele Schweizerinnen und Schweizer im Alltag umtreibt. Wenig überraschend daher, dass viele frühere SP-Wähler heute die SVP bevorzugen.

Umso erstaunlicher wirkt ein Selfie von dieser Woche: Wermuth und der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina (31) posieren stolz mit dem siegreichen Kanzlerkandidaten. Sie waren extra nach Berlin gereist, um dem wahrscheinlichen Nachfolger von Angela Merkel (67) ein Schweizer Sackmesser zu überreichen. Inschrift: «Dem Genossen Olaf Scholz zur gewonnenen Wahl, 26.9.21».

Der Deutsche hat bewiesen: Die Sozialdemokratie kommt bei Bürgerinnen und Bürgern an, wenn sie sich klassischen Themen und dem Alltag ihrer möglichen Wähler widmet. Aber nicht, wenn sie das System überwinden will.

Deshalb sollten die frischgebackenen Scholz-Fans aus der Schweiz mehr als bloss ein Selfie mit nach Hause bringen – sondern vielleicht auch die Erkenntnis: Wahlen gewinnt man nicht mit Aufrufen zum Klassenkampf, Wahlen gewinnt man mit Wählerinnen und Wählern!

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