Macht uns die Schweiz nicht kaputt
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BlickPunkt über Drohungen:Macht uns die Schweiz nicht kaputt

BlickPunkt über Drohungen gegen Bundesräte
Macht uns die Schweiz nicht kaputt

Streit gehört zu einer gesunden Demokratie. Doch wenn Politikern, die gegen Corona vorgehen wollen, zunehmend mit Gewalt gedroht wird, ist das inakzeptabel und gefährlich für das ganze Land.
Publiziert: 28.08.2021 um 01:20 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Zum Start von Blick Romandie führten wir Ende Mai ein Doppelinterview mit Karin Keller-Sutter (57) und Alain Berset (49). Beim Fotoshooting auf der Berner Nydeggbrücke erkannte ein Mann mittleren Alters die Bundesräte – und schnauzte die beiden wütend an: Sie hätten es ganz schlecht gemacht in der Corona-Krise! Sie sollten sich schämen! Dann trottete er davon.

Als die Bundespolizei kürzlich Drohungen gegen ein Mitglied des Bundesrats als ernst zu nehmend einstufte und eine Hausdurchsuchung durchführen liess, fand sich ein umfangreiches Waffenarsenal.

Am Wochenende überschütteten Corona-Skeptiker die Zürcher SVP-Regierungsrätin Natalie Rickli (44) mit Apfelschorle. Was, wenn es Säure gewesen wäre?

Gestern Abend schützten Elitepolizisten der Zürcher Sondereinheit Skorpion die SRF-«Arena», wo Gesundheitsminister Berset mit Corona-Skeptikern diskutierte.

Klar, in diesen verrückten Zeiten sind die Nerven bei vielen angespannt. Doch wer seine Besorgnis in Hass auf Amtsträger umschlagen lässt, als seien sie persönlich schuld an der Pandemie, erkennt nicht mehr, dass sie das Land nach bestem Wissen und Gewissen durch die Krise manövrieren. Selbst wenn dabei – natürlich! – auch Fehler gemacht werden.

Wenn die Bundespolizei Fedpol eine «erhöhte Bedrohungslage» feststellen muss und erklärt, verbale Angriffe bis hin zu drohenden Äusserungen gegenüber exponierten Persönlichkeiten hätten deutlich zugenommen, dann ist das mehr als erschreckend, nämlich völlig inakzeptabel.

Waren wir nicht gerade noch stolz darauf, dass hierzulande auch Politikerinnen und Politiker ungeschützt leben können? Dass in der Schweiz keine abgehobene Elite regiert, dass man hier auch Bundesräten auf dem Märt oder im Zug begegnen kann – ohne Bodyguards, ohne Begleitung, ohne Brimborium?

Ja, in der Schweiz ist der Bürger auch Politiker und der Politiker auch Bürger.

Diese Bürgernähe ist Teil unseres erfolgreichen Systems. Sie ist weltweit einzigartig. Die Macht ist breit verteilt, niemand darf befehlen, keiner ist wirklich wichtig. Auch Alain Berset kann nicht einfach Corona-Massnahmen anordnen, das tun die sieben Bundesrätinnen und Bundesräte gemeinsam.

Doch je länger die Corona-Krise andauert, desto mehr spaltet, polarisiert und verhärtet sie offenbar das Land.

Diskussionen über das Tragen von Masken, über Zertifikatspflicht, Abstands- oder Quarantäneregeln, Impfanreize und vieles mehr: Auch das gehört zur DNA der Schweiz. Allerdings sollten selbst heftige Meinungsunterschiede sachlich und nicht persönlich ausgetragen werden. Wenn unter Bürgerinnen und Bürgern der wechselseitige Respekt abhanden kommt, dann wachsen Hass und Wut. Und das liefert den Nährboden für Drohungen, Angriffe oder sogar Gewalt.

Selbst wenn es das Einzige ist, worüber sich derzeit noch alle einig sind – wir Schweizerinnen und Schweizer müssen eine solche Entwicklung mit vereinten Kräften verhindern!

Sonst kommt es früher oder später wie in Schweden. Bis zum 11. September 2003 erfreute sich das Königreich im Norden derselben offenen Kultur wie die Schweiz. Doch dann erstach ein damals 25-Jähriger die Aussenministerin Anna Lindh (†46), der er zufällig in einem Warenhaus begegnete. Seine Tat veränderte das Land. Für immer.

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