Lange war es keine Frage: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (60) würde bei den Wahlen am 26. September für die CDU/CSU das Kanzleramt verteidigen und Nachfolger von Angela Merkel (67) werden. Nun sieht aber alles anders aus.
In den Umfragen ist die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (63) innert vier Monaten von historischen Kellerwerten von 13 auf 25 Prozentpunkte emporgeklettert und hat die Union von CDU und CSU von 39 Prozentpunkten in ein ihrerseits historisches Tief von 21 Prozent gestürzt. Wenn jetzt gewählt würde, wäre Scholz Kanzler.
Wenn die Deutschen den Kanzler direkt wählen könnten, sähe es für ihn noch rosiger aus. Scholz steht in der Beliebtheit mit 48 Prozent an der Spitze, vor Laschet (21 Prozent) und der Grünen Annalena Baerbock (16 Prozent).
Die SPD kann froh sein um ihren Spitzenkandidaten, den sie vor erst zwei Jahren noch übergangen hatte, als er das Parteipräsidium übernehmen wollte. Die Partei gab dem Juristen damals einen Korb und wählte dafür die Linksflügler Saskia Esken (60) und Norbert Walter-Borjans (68) ins Co-Präsidium. Nun klopfen ihm die Genossen auf die Schulter: Der Mann, der weit ins bürgerliche Lager hinein Sympathien geniesst, holt für sie die Kohlen aus dem Feuer.
Seine Erfolge, seine Pleiten
Scholz ist den Deutschen als meistens erfolgreicher Politiker bekannt, sei es, als er als Bundesarbeitsminister (2007 bis 2009) Branchenmindestlöhne durchgesetzt oder als Hamburger Bürgermeister (2011 bis 2018) die Mietexplosion gestoppt hat. Soziale Gerechtigkeit ist sein grosses Anliegen. In der Pandemie stieg seine Beliebtheit, als er als Finanzminister und Vizekanzler mit staatlichen Milliarden Arbeitnehmer und Unternehmen rettete.
Allerdings hat er auch Misstritte getätigt. Zum einen muss er es auf seine Kappe nehmen, dass die Brutalität der Chaoten am G20-Gipfel in Hamburg 2017 völlig unterschätzt worden war.
Zum andern haben ihn im Sommer zwei milliardenschwere Finanzskandale eingeholt. Ihm wird vorgeworfen, dass er als Hamburger Bürgermeister die Privatbank Warburg davor bewahrt habe, 47 Millionen Euro aus Cum-Ex-Geschäften an die Steuerkasse zurückzahlen zu müssen. Zudem wird gegen ihn ermittelt, weil er im Wirecard-Skandal als Finanzminister und somit oberster Finanzaufseher nicht rechtzeitig reagiert hatte. Anleger verloren Milliarden, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen bandenmässigen Betrugs.
Seit 23 Jahren verheiratet
Als Norddeutscher ist Scholz von sich selbst überzeugt, gerne hebt er immer wieder seine Erfahrung hervor. «Unter denjenigen, die sich um das Kanzleramt bewerben, bin ich schon der mit der meisten Erfahrung, wie man ein so grosses Land regiert», sagte er im Wahlkampf.
Sein Herz gehört Britta Ernst (60), einer SPD-Landesministerin von Brandenburg, mit der er seit 1998 verheiratet ist und mit der er kinderlos in Potsdam lebt. Aber nein, ein Kanzler der deutschen Herzen würde er kaum werden, dafür ist er mit seiner hanseatischen Art im übrigen Land zu trocken. Seine Stärke liegt in der Strategie und im Reden. Weil er in früheren Jahren oft Phrasen drosch, bekam er den Übernamen «Scholzomat».
Eines seiner Mottos lautet «nie aufgeben». Scholz denkt langfristig: Als vor zwei Jahren alle meinten, mit dem gescheiterten Parteipräsidium sei auch der Kanzlerkandidat Scholz gescheitert, plante er bereits seine Kandidatur. Jetzt hat der in seiner Partei erst noch übergangene Hamburger die besten Aussichten, Merkel als Kanzler abzulösen und sich zum mächtigsten Mann Europas krönen zu lassen.