Wenn Armin Laschet (60) nervös ist, kann er es an diesem Abend ziemlich gut verbergen. Beim ersten grossen TV-Schlagabtausch redet der immens unter Druck stehende Kanzlerkandidat der Union am Sonntagabend bei den Sendern RTL und ntv bestimmt und meist ruhig, setzt auf Attacke, verkneift sich genervte Reaktionen und neue Patzer. Dabei geht es für ihn um alles oder nichts: Vergeigt er gleich das erste TV-Triell vier Wochen vor der Bundestagswahl, dürfte die Aussicht, nach 16 Jahren Angela Merkel (67) doch noch das Kanzleramt zu verteidigen, gegen Null sinken. So desaströs sind die Umfragewerte der Union, so katastrophal die Beliebtheitswerte des Kandidaten.
Vizekanzler Olaf Scholz (63), der mit seiner SPD in den Umfragen teils deutlich vor der Union von Laschet liegt, bleibt beim erfolgreichen Kurs der vergangenen Wochen: Er gibt sich staatsmännisch als möglicher Nachfolger der immer noch äusserst beliebten CDU-Kanzlerin. Wenn Laschet und Annalena Baerbock (40) sich fetzen in der Diskussion, lehnt er sich oft ziemlich entspannt zurück.
Baerbock setzt auf Attacke gegen beide Seiten, von Anfang an. Sie zeigt sich munter, nachdem sie nach ihrem vermasselten Wahlkampfstart oft verhalten rübergekommen war. Sie wirkt angriffslustig, fordert eine grundlegende Erneuerung. Natürlich, denn sie ist in der Opposition, Laschet wie Scholz gehören den Parteien an, die derzeit die Regierung bilden. Baerbock war mit ihren Grünen in den vergangenen Wochen hinter Scholz und die SPD gerutscht, nun muss sie Boden gut machen - um überhaupt noch ein starkes Grünen-Ergebnis zu erreichen, wenn es auch nichts mit dem Kanzleramt werden sollte.
Kaum persönliche Attacken
Schon gleich am Anfang wird deutlich, wie die Rollen verteilt sind an diesem Abend. «Die Jahre des Abwartens der grossen Koalition von SPD und CDU haben diesem Land nicht gut getan. Wir brauchen jetzt einen wirklichen Aufbruch», sagt Baerbock.
Als die Moderatoren dann auch von Scholz wissen wollen, warum Laschet denn nicht Kanzler könne, gibt der aktuelle Vizekanzler zurück: «Ich glaube, dass das nicht der Stil ist, den wir in Deutschland pflegen sollten, dass wir über die anderen sagen, was sie nicht können. Wir sollten für das werben, was uns selber wichtig ist.» Und auch Laschet sagt, er würde sich «auch gerne daran halten, dass ich dafür werbe, wofür ich stehe». Er regiere ja ein grosses Land mit all den Gegensätzen, die es in ganz Deutschland gebe.
Inhaltlich hart, aber weitgehend ohne persönliche Attacken geht es dann in den knapp zwei Stunden Triell zu. Beim Thema Afghanistan sind Scholz und Laschet gegenüber Baerbock eher in der Defensive, als Vertreter der Regierungskoalition. Die Grüne hält den Vertretern der Regierungsparteien ein Wegducken vor, beschreibt die Bilder verängstigter Menschen, die sich in Evakuierungs-Flugzeugen drängen: «Da zieht sich mir das Herz zusammen.»
Afghanistan und Virus
Laschet nimmt sich viel Zeit, seine Pläne für einen Nationalen Sicherheitsrat auszubreiten. Scholz und dessen SPD verhindere den Einsatz von Drohnen zum Schutz der Bundeswehr, Baerbock habe sich beim letzten Afghanistan-Mandat enthalten, wettert der CDU-Chef. «Bleiben Sie mal bei den Fakten», keilt Scholz zurück. Baerbock ätzt, Laschet solle doch bitteschön nicht nur seinen Sprechzettel vorlesen.
Beim Thema Corona geht es ebenfalls mit harten Bandagen zu. Der Vizekanzler gibt sich als Warner, Laschet sagt auch, man müsse vorsichtig sein, aber: «Wir werden mit dem Virus leben müssen.» Als dem NRW-Ministerpräsidenten ein Zickzack-Kurs in der Coronapolitik vorgehalten wird, reagiert er dann doch ein wenig genervt: Bei ihm sei es immer um ein Abwägen gegangen zwischen dem Schutz vor dem Virus und den anderen Folgen. Das hätten «manche böswilligen Leute» dann Zickzack-Kurs genannt. Als Baerbock bei den noch häufig fehlenden Luftfiltern in den Schulen den Finger in die Wunde liegt, könnte sie bei vielen Familien gepunktet haben.
Klima
Noch mehr Schärfe kommt auf, als es ums Thema Klima geht und die Moderatoren wissen wollen, was die Kandidaten als Kanzler denn als Erstes verbieten wollten. «Gar nichts», sagte Laschet und hält Baerbock vor, sie habe als Konzept nur das Verbot des Verbrennermotors. Da habe Laschet wohl nicht richtig zugehört, entgegnet Baerbock schlagfertig. Auch Scholz will nichts verbieten, hält Laschet aber vor, das CDU-geführte Wirtschaftsministerium bremse und die Union weigere sich sowieso, die Klimaziele nach oben zu setzen. Klar wird: Grüne und SPD dürften sich bei diesem Thema wohl näher sein, als Union und Grüne.
Steuern, Frauenpolitik, Gendersprache – viel Neues erfahren die Zuschauer an diesem Abend nicht. Beim Gendern meint Laschet, man solle doch «Die Tassen im Schrank lassen», aber sensibel sein für Menschen, die es berühre. Wenn man am Ende aber nicht mehr wisse, was man sagen dürfe und was nicht, führe das nicht dazu, dass das Vertrauen in den Staat wachse.
Laschet versucht Scholz noch in die Ecke zu treiben, als es um die Linkspartei geht und die Frage, ob die SPD mit ihr koalieren würde. Scholz blieb bei seiner Linie: Ausschliessen tut er nichts, aber ein Bekenntnis zur Nato, das müsse in jedem Koalitionsvertrag stehen «und auch von tiefstem Herzen gemeint sein».
Zum Schluss noch nett
Als die drei Kandidaten dann fast am Schluss noch etwas Nettes über den anderen sagen sollen, wird es dann nochmal interessant, vor allem vor dem Hintergrund möglicher Koalitionen nach der Wahl am 26. September. Scholz nennt Baerbock eine «ganz engagierte Politiker», das habe man auch beim Triell gesehen. Man habe ja schon lange und oft gut zusammengearbeitet, «und ich hoffe, wir werden einen Weg finden, das auch in Zukunft zu tun». Baerbock sagt über Laschet, sie möge es, «dass man sich in der Sache hart streiten kann und trotzdem, so'n rheinländische Frohnatur, was Bodenständiges» - das mache Politik auch aus.
Als Laschet dann noch aufgefordert wird, was Nettes über Scholz zu sagen, muss der CDU-Mann ganz schön lange nachdenken. «Er ist lange dabei, hat viel Erfahrung und hat unter der Führung von Angela Merkel einen ordentlichen Job gemacht.» Gut möglich, dass Laschet damit die Taktik von Scholz entzaubern wollte, sich als die personifizierte Fortsetzung merkelscher Politik zu verkaufen.
Einer ersten Forsa-Umfrage für RTL und ntv direkt im Anschluss zufolge ging das Rezept nicht auf - 36 Prozent der Zuschauerinnen und Zuschauer halten Scholz zumindest dieser Schnellerhebung zufolge für den Gewinner der TV-Debatte, 30 Prozent Baerbock und nur 25 Prozent Laschet. Doch bis zur Wahl sind es noch vier Wochen. (SDA)