Frank A. Meyer – die Kolumne
Schaut auf dieses Bild!

Publiziert: 29.08.2021 um 00:10 Uhr

Was ist hier zu sehen? Im Vordergrund eine kauernde Gestalt. Ein Haufen Stoff. Eine Burka. Darunter ein Mensch weiblichen Geschlechts. Ein Mensch, der nicht Mensch sein darf, der sich zur Unkenntlichkeit verhüllen muss.

Es ist ein Bild aus Afghanistan. Es ist das Bild einer Frau. Und das Bild der Zukunft Afghanistans unter den Taliban. Unter der Herrschaft des Islams. Für die Frauen die Finsternis unter der Burka – das Gefängnis brutalster Männerherrschaft.

Die Frau in einem Kabuler Lager ist durch die Verhüllung bis auf das Stoffgitter vor ihren Augen als Person ausgelöscht. So verlangt es die Religion ihrer männlichen Gebieter. Rechts von der Burka-Gestalt geht ein Mädchen, mit skeptisch fragendem Blick in die Kamera. Es ist noch unverhüllt. Es ist noch kindliche Persönlichkeit. Es darf sich zeigen, denn seine Zukunft als Frau ist noch nicht angebrochen.

Die Zukunft als Nichts tritt ein, wenn das Kind seine erste Menstruation erlebt. In diesem Moment wird das Mädchen, das gerade zur Frau erwacht, das sich gerade zur Persönlichkeit entwickelt, für die Gesellschaft ausgelöscht. Ein erwachsenes Individuum darf es nicht werden. Die Religion duldet Frauen nicht als Persönlichkeiten. Die Männer-Macht, in Afghanistan bis an die Zähne bewaffnet, fürchtet nichts so sehr wie die Kraft der Frau – die freie Frau, die selbstermächtigte Frau.

In der Schweiz ist die Verhüllung von Frauen verboten. Die sozialdemokratische Nationalrätin Tamara Funiciello hat dieses Verbot in der Volksabstimmung vehement bekämpft. Weil es in ihren Augen die Freiheit der Frau beschneidet: «Was eine Frau trägt oder nicht, entscheidet ausschliesslich und ohne Rechtfertigung eine einzige Person: die Frau selber.»

Vielleicht ruft Tamara Funiciello diesen Satz jetzt, so laut sie kann, den Frauen in Afghanistan zu. Vielleicht schämt sie sich aber auch. Zum Beispiel vor dem Mädchen, dem bald die Burka droht.

Der linke Feminismus, den Tamara Funiciello predigt, hat eine Päpstin: Judith Butler, Gender-Professorin an der University of California, Berkely. Mit folgenden Worten rechtfertigt sie die Burka: «Sie symbolisiert, dass eine Frau bescheiden ist und ihrer Familie verbunden; aber auch, dass sie nicht von der Massenkultur ausgebeutet wird und stolz auf ihre Familie und Gemeinschaft ist (…) Die Burka zu verlieren, bedeutet mithin auch, einen gewissen Verlust dieser Verwandtschaftsbande zu erleiden, den man nicht unterstützen sollte. Der Verlust der Burka kann eine Erfahrung von Entfremdung und Zwangsverwestlichung mit sich bringen.»

Die Befreiung von der Burka als Zwang zu westlicher Freiheit – darauf muss man erst einmal kommen!

Feminismus pervers.

Zarifa Ghafari, 27 Jahre alt und Bürgermeisterin von Maidan Shahr, Hauptstadt der Provinz Maidan Wardak in Zentralafghanistan, gibt Judith Butler die Antwort. Lakonisch erklärt sie, was die Taliban mit einer Afghanin tun, die unter westlich inspirierter Freiheit zu einer unverschleierten, modernen Frau geworden ist: «Töten.»

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