Es hätte bös enden können: Am Dienstag stellte ein Mann in Kampfmontur sein Auto mitten auf dem Bundesplatz ab und versuchte, ins Bundeshaus zu gelangen. Sicherheitsleute halten ihn fest – und testen ihn positiv auf Sprengstoff.
Zu diesem Zeitpunkt weiss niemand, ob der Jaguar S-Type eine fahrende Bombe ist, ob der Mann Komplizen hat, was er im Schild führt.
Was in dieser Lage für jedes Parlaments- und Regierungsgebäude der Welt Standard ist, versetzt das Bundeshaus in heilloses Durcheinander: Sicherheitsleute schleusen die Parlamentarier einen nach dem anderen durch eine Drehtür. Deshalb kommt es zu Wartezeiten von bis zu 20 Minuten. Der Verdächtige wird – was kein Mensch versteht – zur Überprüfung ins Innere des Gebäudes geführt. Deshalb müssen Parlamentarier und Bundesrat Guy Parmelin (63) am potenziellen Terroristen vorbei. Kein Alarmsignal ertönt, niemand informiert. Deshalb glaubt Bundesrätin Viola Amherd (60), es handle sich um eine Übung. Die zweithöchste Schweizerin, Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller (64), vergessen die Sicherheitsleute komplett. Deshalb arbeitet sie ahnungslos weiter in ihrem Büro.
Als Bundesrätinnen, Parlamentarier und der Armeechef endlich evakuiert sind, stehen sie wie eine unbewachte Schafherde im Freien. FDP-Ständerat Andrea Caroni (42) stellt fest: «Im Ernstfall wären wir auf dem Präsentierteller gewesen.»
Bei dem Festgenommenen handelt es sich um einen Mann mit psychischen Problemen, sein Jaguar war nicht mit Sprengstoff vollgepackt, Komplizen gab es wohl auch nicht. Was aber wäre bei einem echten Angriff geschehen? Wenn jemand einen teuflischen Plan gehabt hätte wie Anders Breivik (44), der 2012 in Norwegen 77 Menschen tötete? Oder gar bei einem Ereignis wie dem Sturm aufs US-Capitol 2021?
Wie kann es sein, dass das Zentrum der politischen Schweiz nicht schnell, sicher und vollständig evakuiert werden kann?
Man kann die Episode abhaken unter «Glück gehabt!», sie als drollig-sympathisches Schweizer Laientheater betrachten und darauf vertrauen, dass auch weiterhin nichts passiert.
Aber das wäre ein grosser Fehler! Während Amtsträger anderer Länder in gepanzerten Limousinen vorbeibrausen, trifft man Bundesräte am Berner Märit oder im Tram …
Diese Freiheit ist ein unbezahlbares Geschenk für Politikerinnen und Politiker, für Prominente überhaupt, ja für unser ganzes Land. Ein solches Privileg bewahrt man aber nicht durch Naivität, sondern mit Professionalität überall dort, wo die Gefahr kontrollierbar ist – zuallererst im Bundeshaus, dem Herzen unseres politischen Systems.
Damit nicht eines Tages Realität wird, was Mani Matter (1936–1972) in seinem Lied «Dynamit» einst sang:
Louf i am Bundeshus sider verby
Mues i gäng dänke, s steit numen uf Zyt
S länge fürs z spränge paar Seck Dynamit
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