Es ist das schwerste Erdbeben in Kleinasien seit 1939. Bis jetzt sind 21’000 Tote gemeldet, mehr als 75’000 Verletzte, Zehntausende Obdachlose. Es wird Jahre dauern, bis im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien wieder so etwas wie Normalität einkehrt.
Die Katastrophe in der Nacht auf Montag hat aber auch politische Folgen. Unter anderem könnte sie den autoritären Herrscher Recep Tayyip Erdogan (68) bei den Wahlen am 14. Mai die Macht kosten. Weil sich jetzt viele Menschen fragen: Wohin ist das Geld aus der Erdbebensteuer geflossen? Warum fallen Gebäude in der Türkei wie Kartenhäuser zusammen und bei vergleichbaren Erdstössen in Japan nicht?
Immerhin verschafft das Beben den Kurden eine Verschnaufpause: In den vergangenen Wochen lancierte Erdogan Angriffe auf deren Region. Sie dürften vorläufig eingestellt werden. Und noch im Januar drohte der starke Mann in Ankara Griechenland wegen eines Streits um Inseln und Bohrrechte indirekt mit einem Raketenangriff. Jetzt hilft der Nachbarstaat grosszügig, was die Feindschaft beider Länder beenden könnte.
Selbst auf den Ukraine-Krieg kann sich das Erdbeben auswirken: Bisher hat die Türkei den Nato-Beitritt Schwedens blockiert. Nun aber haben die Schweden den Vorsitz des EU-Rats und europäische Hilfsgelder freigegeben – ohne jedes Zögern.
Leider könnten von der Katastrophe auch üble Gestalten wie Diktator Bashar al-Assad (57) profitieren: Der Machthaber in Syrien hofft auf Lockerungen der Sanktionen, um das Leid seiner vom Erdbeben betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu lindern. Und sogar Wladimir Putin (70) sieht eine Chance, sich als Good Guy zu rehabilitieren, weil er unverzüglich Militärspezialisten und Rettungsflugzeuge gestellt hat.
Ganz Westeuropa wird die Auswirkungen spüren, falls das Beben eine erneute Flüchtlingswelle auslöst. Erstaunlich wäre das nicht: In der Türkei leben mehr als vier Millionen Flüchtlinge, viele davon im schwer betroffenen Grenzgebiet zu Syrien. Wo sollen sie jetzt hin?
Die Geschichte zeigt, dass unvorhersehbare Naturereignisse schon oft den Lauf der Dinge beeinflusst haben. Das Reaktorunglück von Fukushima 2011 bewirkte eine globale Debatte über Atomkraftwerke und sorgte für einen teilweise überstürzten Ausstieg aus dieser Technik. Die Corona-Pandemie brachte die ganze Welt durcheinander – mit einer historisch einmaligen Ausgangssperren- und Abschottungspolitik in Asien, einem Welthandel auf Sparflamme, einem Ende der ungebremsten Globalisierung …
Manchmal ist es geradezu atemberaubend zu beobachten, wie eine Katastrophe die Folge einer anderen lindert. So sorgt die Erderwärmung für einen extrem milden Winter in der Ukraine – in den zerstörten Städten erfroren bisher deutlich weniger Menschen als befürchtet.
Hoffentlich dürfen wir demnächst auch ein unvorhergesehenes und ungeplantes Ereignis erleben, das den Ukraine-Krieg beendet.
Das etwas andere Mail vom Chef: Mit «Einblick» lanciert Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, einen Newsletter, der jeden Samstag die Woche Revue passieren lässt und Einblick in den Redaktionsalltag gibt. Jetzt kostenlos abonnieren – und jeden Samstag per Mail erhalten: www.blick.ch/einblick
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