«Die Schweiz erkennt die Zeichen der Zeit nicht»
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BlickPunkt mit Christian Dorer:«Die Schweiz erkennt die Zeichen der Zeit nicht»

BlickPunkt über Waffenhilfe für die Ukraine
Feige Schweiz

Bern verbietet anderen Regierungen, Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine zu liefern. In der geopolitischen Extremsituation, die Putins Angriff hervorgerufen hat, ist das ein schwerer Fehler.
Publiziert: 20.01.2023 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 21.01.2023 um 00:10 Uhr
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Wolodimir Selenski forderte die Welt am WEF zu «mehr Entschlossenheit» und «mehr Geschwindigkeit» im Kampf gegen die russischen Angreifer auf.
Foto: keystone-sda.ch
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Christian Dorer

Gestern trafen in Ramstein (D) die Verteidigungsminister von mehreren Dutzend Staaten zusammen, um der Ukraine nochmals deutlich mehr Panzer, Abwehrsysteme, Waffen, Munition und weiteres Kriegsgerät zu garantieren.

Das ist auch dringend nötig, wie Präsident Wolodimir Selenski (44) am WEF sagte. Per Videoschaltung forderte er die Welt zu «mehr Entschlossenheit» und «mehr Geschwindigkeit» im Kampf gegen die russischen Angreifer auf. Seine Frau Olena Selenska (44) war persönlich nach Davos gekommen. Sie flehte: «Bitte stoppt eure Hilfe nicht! Ihr könnt doch nicht aufhören, das Feuer zu bekämpfen, wenn das halbe Haus noch in Flammen steht.»

Am meisten geliefert haben bisher die USA (zum Beispiel 1400 Flugabwehrraketen sowie 60 Millionen Schuss Gewehrmunition), Grossbritannien (120 gepanzerte Fahrzeuge, Hunderte Panzerabwehrraketen) oder Deutschland (24 Panzer, 288 Lastwagen).

Und die Schweiz? Macht nichts. Dass unser Land nicht direkt Waffen an die Ukraine liefert, kann man vielleicht halbwegs verstehen. Die Schweiz verhält sich aber erheblich strikter: Sie verbietet anderen Nationen, Waffen aus Schweizer Produktion an Kiew weiterzugeben. Dänemark darf keine Schweizer Piranha-Radschützenpanzer liefern, Deutschland keine Munition für Gepard-Panzer, Spanien keine sonstigen Militärgüter.

Das alles mit Verweis auf die Neutralität. Doch was heisst das schon? SonntagsBlick-Kolumnist Frank A. Meyer schrieb zu Recht: «Wer der Ukraine militärisch nicht zu Hilfe eilt, obwohl er es könnte, der eilt Putin zu Hilfe: Wer die Ukraine schwächt, stärkt Russland.»

Kein Wunder, wird der Druck auf Bern immer grösser. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko (51) im Interview mit Blick: «Ich bitte die Schweiz um die Lieferung von Verteidigungswaffen. Wenn es um Menschenrechte geht, um Leben und Tod, um Krieg, dann kann man nicht neutral sein. Man muss Haltung zeigen!»

Auch im übrigen Europa versteht kaum noch jemand die Haltung der Schweiz. Im Hintergrundgespräch mit Journalisten sagte ein europäischer Minister am WEF: «In diesem Krieg gibt es einen Aggressor und ein Opfer. Wer sich raushält, macht sich schuldig an den Opfern. Die Schweiz begeht einen schweren Fehler!»

Beim Bundesrat scheint diese Botschaft nicht anzukommen. Aussenminister Ignazio Cassis (61) betonte in Davos: «Wir sind ein neutrales Land und müssen den Neutralitätsgesetzen gehorchen.»

Leider erkennt die Schweiz die Zeichen der Zeit zu spät – wie schon so oft: Beim Frauenstimmrecht war es ähnlich, beim Uno-Beitritt, beim Bankgeheimnis, ja sogar bei den Sanktionen gegen Russland.

Die Schweiz ist ein Hort der Stabilität. Vielleicht realisiert sie deshalb nicht, wie sie sich in der aktuellen geopolitischen Extremsituation bewegen müsste. Im Zweiten Weltkrieg forderten gewisse Politiker die Übernahme nazifreundlicher Gesetze. Andere wollten braune Uni-Rektoren und Chefredaktoren einsetzen, um die Nazi-Nachbarn zu beschwichtigen. Die Situation heute erinnert entfernt daran: Die Schweiz weiss nicht, wie der Krieg ausgehen wird, und will es sich aus Mangel an politischem Mut mit keiner der beiden Seiten komplett verscherzen.

Damit handelt sie vielleicht pragmatisch. Aber sie steht damit ganz bestimmt auf der falschen Seite der Geschichte.

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