Der Ursprung des ganzen Theaters war mehr als simpel: Ende 2020 veröffentlichen «NZZ» und «Tages-Anzeiger» den noch vertraulichen Inspektionsbericht der Geschäftsprüfungsdelegation zur Crypto-Affäre.
Staatsgeheimnisse enthüllten sie damit nicht: Der Bericht wäre ganz offiziell publik geworden – die Tageszeitungen hatten ihn einfach ein paar Tage früher zugesteckt bekommen.
Trotzdem sollte Sonderstaatsanwalt Peter Marti (72) herausfinden, welches Mitglied der Bundesverwaltung den Bericht weitergegeben hat – ein Verfahren, das in der Regel sang- und klanglos eingestellt wird.
Doch Marti, eigentlich im Ruhestand, machte sich mit Verve ans Werk. Und bringt seitdem Bundesbern durcheinander:
- Drei potenzielle Täter hat er im Verdacht: Berset-Sprecher Peter Lauener (52), den früheren Geheimdienstchef und EDA-Generalsekretär Markus Seiler (54) und EDA-Mediensprecher Michael Steiner (53).
- Bei der Swisscom und beim Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) fordert er Laueners E-Mail-Verkehr von mehreren Wochen an – und erhält ungefragt dessen Mails der vergangenen zehn Jahre!
- Er wertet den vollständigen Datenschatz ohne konkreten Auftrag aus – also vermutlich illegal – und stösst auf E-Mails zum Thema Corona zwischen Lauener und Marc Walder (57), CEO des Medienhauses Ringier, das auch den Blick herausgibt.
- Er weitet seine Ermittlungen aus. Es geht nun nicht mehr um Amtsgeheimnisverletzung, sondern um einen Angriff auf den Staat! Gemäss Martis blühender Fantasie wollte Alain Berset (50) mithilfe des Ringier-CEO den Bundesrat entmachten – als ob die sechs anderen Bundesrätinnen und Bundesräte nicht eigenständig entscheiden würden.
Vor drei Wochen zitierte die «Schweiz am Wochenende» Einvernahmeprotokolle von Berset und Lauener aus dem laufenden Verfahren. Das ist nun tatsächlich ein gravierendes Leak, denn diese Dokumente wären nie publik geworden.
Bald laufen fünf Untersuchungen:
- Sonderermittler 1, Peter Marti, forscht eifrig weiter nach Crypto-Leaks und Corona-Leaks.
- Sonderermittler 2 ermittelt gegen Marti. Der Vorwurf: Er hätte nicht Laueners gesamten Mailverkehr auswerten dürfen.
- Sonderermittler 3 wird untersuchen, wer die Einvernahmeprotokolle von Berset und Lauener weitergegeben hat.
- Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat untersuchen Indiskretionen rund um Bundesrats-Entscheide während der Corona-Pandemie.
- Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) lässt prüfen, weshalb das mittlerweile ihr unterstellte Bundesamt Marti ungefragt Laueners gesamte Mail-Korrespondenz ausgehändigt hat.
Alain Berset ist durch dieses Tohuwabohu angeschlagen. Der Bundespräsident versicherte seinen Kolleginnen und Kollegen zwar, nichts von den Indiskretionen seines Sprechers gewusst zu haben. Falls auskommt, dass er damit nicht die Wahrheit sagte, muss er wohl zurücktreten.
Aber ist das nun ein Jahrhundertskandal? Gar eine Staatskrise? Oder doch nur viel heisse Luft?
Eine repräsentative Umfrage der «NZZ am Sonntag» zeigt: Bersets Sympathiewerte sind ungebrochen hoch – obwohl nur 30 Prozent der Befragten glauben, dass er nichts von der Weitergabe vertraulicher Informationen wusste. Das Volk beweist einmal mehr einen gesunden Realitätssinn.
Für alle gilt die Unschuldsvermutung, der Ausgang sämtlicher Verfahren ist ungewiss. Sicher ist nur eines: Ein Land, das keine anderen Probleme hat, darf sich glücklich schätzen!