Als ich Victor kennenlernte, hatte er zwei elegante schwarze Katzen, Chipotle und Chocolate benannt, nach den zwei Dingen, die er während der Dialyse am meisten vermisste. Eine Freundin hatte sie als halb verhungerte Babys in einem Abbruchhaus gefunden und ihm gebracht, er war als Katzenfreund bekannt. Damals ging es ihm nicht besonders gut, seine erste Frau war gestorben, er wartete seit Jahren auf seine Spenderniere, seine Überlebenschancen wurden immer geringer. Was ihn in seiner Trauer wenig beeindruckte. Doch kaum steckte er die beiden Katzenbabys in die Brusttasche seiner Latzhose, fühlte er sich besser. Und als er wenige Monate später endlich eine Spenderniere erhielt, waren die beiden Findelkatzen wesentlich an seiner Genesung beteiligt. Das ist nicht nur Victors Meinung, das bestätigt auch die Wissenschaft: Das niederfrequente Schnurren beschleunigt erwiesenermassen den Heilungsprozess. Chocolate und Chipotle legten sich abwechselnd auf die Wunde und beschnurrten die neue Niere. Mit dem Füttern des Patienten waren sie allerdings weniger erfolgreich, obwohl sie nichts unversucht liessen: Brachte Chipotle eine Maus, trumpfte Chocolate mit einer Ratte auf. Schleppte Chocolate einen Vogel an, kam Chipotle wenig später mit einem Entenküken an. Einem Entenküken? Manchmal fragte sich Victor damals, ob er nicht halluziniere. Doch dann hörte er im Café an der Ecke, wie sich eine Nachbarin darüber beklagte, dass ihr «Stadtfarm-Projekt» kläglich gescheitert sei, vermutlich von Mardern geplündert. «Nicht ein einziges Küken hat überlebt, kein Hühnchen und keine Ente!» Da trank Victor seinen Kaffee erst mal wieder zu Hause …
Chocolate nahm Victor die Krankheit ab
Chipotle war den ständigen Wettkampf irgendwann leid und zog weiter. Doch Chocolate blieb treu an seiner Seite. Sie weckte ihn, wenn sein Blutzuckerspiegel im Schlaf gefährlich absackte, ein Problem, das die meisten Transplantierten plagt. Und biss auch mal eine aufdringliche Dame weg. Vor zwei Jahren starb Chocolate an Nierenversagen: «Sie hat mir meine Krankheit abgenommen», ist Victor bis heute überzeugt.
Ein paar Monate später adoptierten wir die Schwestern Tildeli und Twylita aus dem Tierheim.
Als er die beiden Transportboxen zum Auto trug, strahlte Victor buchstäblich von einem Ohr zum anderen, glücklicher, als ich ihn je gesehen hatte.
Dank der Katzen ruht sich Victor aus
Diese Schwestern sind weiss, nicht schwarz und auch deutlich grösser als die letzten beiden. Aber sie sind Victor genauso ergeben – und genauso eingespielte Krankenpflegerinnen. Auch sie können seinen Blutzuckerspiegel erstaunlich genau einschätzen. Doch vor allem sind sie die Einzigen, die ihn dazu bringen können, sich ab und zu auszuruhen. Seine sture Weigerung, seinen geschundenen Körper zu schonen, bringt mich ebenso zur Verzweiflung wie seine diversen Ärzte. Nur die Katzen kriegen das hin: Sie locken ihn aus der Werkstatt und aufs Sofa, sie drapieren sich über seine Beine, sodass er nicht aufstehen kann. «Ich wollte die Katzen nicht aufscheuchen», sagt er dann. Und das geht.
Und deshalb bin auch ich den siamesischen Schwestern treu ergeben. Wenn sie mich morgens zur Unzeit mit unsanften Bissen an meine Pflichten als designierte Dosenöffnerin erinnern, füge ich mich klaglos. Denn ich weiss, was ich ihnen verdanke.